Szeneprofil:
Hipster
Intro
Der zeitgenössische Hipster gehört seit der Jahrtausendwende zum festen Typen-Repertoire, wie man es in den Szenevierteln der Großstädte des europäischen und amerikanischen Kontinents allerorts antrifft. Seit einiger Zeit läuft man ihm auch in den Feuilletons der Tageszeitungen und in den Jugendprogrammen öffentlich-rechtlicher Fernsehsender regelmäßig über den Weg. Er scheint damit den Weg durch die Institutionen, hinaus aus dem düsteren Underground und hinein ins Licht der bürgerlichen Medienlandschaft, vollendet zu haben. Das Phänomen wird dabei von selbsternannten Trendjägern als etwas gänzlich Neues, nie Dagewesens verkauft. Worüber meist geschwiegen wird, ist der Umstand, dass der Hipster, sogar im Vergleich zu fest im kollektiven kulturellen Gedächtnis etablierten Jugendszenen wie dem Rock’n Roll oder Punk, auf eine sehr lange (wenn auch weniger kontinuierliche) Geschichte zurückblicken kann, die schon in den 1950er-Jahren ihren Ausgang nimmt.
Umso überraschender ist es, dass dieser, ob im Positiven oder Negativ verklärte (vermeintliche) Archetypus unserer Gegenwart, dabei merkwürdig unscharf bleibt. Denn anders als das bei anderen Jugendszenen der Fall ist, bekennt sich kaum jemand zum Hipstertum. Man nimmt sich eher allgemein als „Individualist“ wahr und verweigert sich jeder Art der Verortung in einem Milieu oder einer Szene. Als Hipster bezeichnet man sich selbst, wenn überhaupt, in einem Gestus gleichzeitiger ironischer Distanzierung. Der Begriff ist also keine neutrale Selbst- oder Fremdzuschreibung einer bestimmten Lebensstilgemeinschaft, sondern er wird überwiegend spöttisch oder sogar offen ablehnend von anderen gebraucht, die diesen Lifestyle ablehnen. Aus deren Perspektive ist ein Hipster jemand, der oder die sich blind und opportunistisch jedem neuen Trend anbiedert und somit keinerlei Anspruch auf das in vielen Jugendszenen zentrale Konzept der Authentizität erheben kann. Der Hipster bleibt ein „Poser“, er ist „fake“ oder schlicht und einfach ein „Fashion Victim“. Damit einher geht wiederum, dass es, anders als in anderen Szenen, keine offenen Bekenntnisse zu dieser Subkultur gibt: Hipster, das sind immer die anderen. Da aber typische Merkmale von Jugendszene (etwa ein bestimmtes Reservoir an Symbolen, eine distinkte Lebenseinstellung etc.) auch im Fall des Hipsters zu beobachten sind, können diese, wenn schon nicht als Szene, so doch zumindest als ein eigenes jugendkulturelles Milieu beschrieben werden.
History
Die erste Auseinandersetzung mit dem Phänomen und dem Lebensstil des Hipsters leistet der US-amerikanische Schriftsteller Norman Mailer in seinem 1957 erschienen Essay „The White Negro“, in dem er das Bild des Hipsters als das eines amerikanischen Existenzialisten zeichnet. Den „squaren“, d.h. spießigen und rigiden dominanten Moralvorstellungen seiner Zeit (repräsentiert durch monogame Beziehung, Kleinfamilie, Haus in den Suburbs, geregeltem Job etc.) setzt er seinen alternativen, eben „hippen“ Lebensentwurf entgegen. Dieser bestehe, im Angesicht der Gefahr einer jederzeit möglichen atomaren Vernichtung durch die sowjetische Atombombe, in einem hedonistisch geprägten Individualismus, der jeden Tag feiert, als sei er der letzte. Freier Sex, Drogen und Jazz verkörpern diesen Lebensstil.
Aber anders als heute, wo nicht nur konservativen Kommentatoren einen solchen hemmungslosen Individualismus als Gefährdung eines auf Solidarität aufbauenden Gemeinwesens und Rückzug aus der Sphäre des Politischen überhaupt brandmarken, wertet Mailer ihn als einen ganz bewusste rebellischen und damit auch hochgradig politischen Akt. Wie der Titel von Mailers Essay andeutet, orientierten sich die Mittelschichts-WASPs (das ist ein in den USA gebräuchliches Akronym für „Weiße Angel-Sächsische Protestanten, also die damalige Mehrheitsgesellschaft) an jener Subkultur, die sie von der Mehrheitskultur als am weitesten entfernt annahmen: jener der unterdrückten afroamerikanischen Minderheiten. Nicht ganz ohne rassistischen Stereotypen auf den Leim zu gehen vermeinten sie hier jenen spontanen und lustvollen Lebensstil am Werke, durch dessen Übernahme sie den durchgeplanten und risikoaversen Biographien, die das eigene Leben für sie bereithalten sollte, entkommen wollten. Auch der Name dieser Subkultur, nämlich Hipster, lässt sich auf den in Jazz und Blues gebräuchlichen Terminus „hip“ (in etwa das Äquivalent zum heutigen „cool“) zurückführen. Hier zeigt sich eine überraschende Parallele zum zeitgenössischen Hipster, der sich ebenso an den Lebensstilen der Unterschicht bedient, heute allerdings an jenem des „White Trash“, also der weißen Unterschicht.
Literatur
Mark Greif: Hipster. Eine transatlantische Diskussion. Frankfurt am Main, 2012
Philipp Ikrath: Hipster – Versuch einer Begriffsbestimmung. Wien/Hamburg, 2013; Download unter: http://jugendkultur.at/wp-content/uploads/Dossier_Hipster_Ikrath_2013.pdf
Mailer, Norman: The White Negro. In: Dissent Magazine. Stand: 20. Juni 2007. http://www.dissentmagazine.org/online_articles/the-white-negro-fall-1957. (aufgerufen am 31. Mai 2013)
Strukturen
Da sich die Hipsterkultur nicht als eine Jugendszene im traditionellen Sinne versteht, ist eine schematische Darstellung an dieser Stelle kaum möglich, auch weil ein extrem stark ausgeprägter Individualismus hier in der Ablehnung offen deklarierter Zugehörigkeiten zu Tage tritt. Während andere Szenen in sich deutlich differenziert sind – man denke hier etwa an Metal mit seinen zahllosen Subgenres und Subszenen – kann eine solche Differenzierung hier kaum wahrgenommen werden.
Fakten
Die Größe der Hipster-Subkultur ist kaum quantitativ festzustellen. Dies ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass der Begriff Hipster im allgemeinen Sprachgebrauch fast ausschließlich abwertend gebraucht wird, was eine offen ausgesprochene Identifikation mit dem Hipstertum erschwert. Aus diesem Grund ist dessen quantitative Bedeutung kaum empirisch erhebbar. Da es aber kulturelle Überschneidungen zwischen dem Hipster- und dem Indie/Alternativsegment gibt, dem sich in Deutschland rund 15 Prozent der 16- bis 29-jährigen verbunden fühlen, kann man davon ausgehen, dass die Hipsterkultur zumindest in den Großstädten eine nicht zu vernachlässigbare Größe darstellt.
Hinsichtlich ihrer sozialen Lage rekrutieren sich die zeitgenössischen, genau wie die Hipster der 1950er-Jahre, aus der Mittelschicht. Was ihre Altersstruktur betrifft, so ist die Gruppe der jungen Erwachsenen hier deutlich größer als jene der Jugendlichen. Das Verhältnis zwischen Frauen und Männern stellt sich als ausgewogen dar, Jugendliche und junge Erwachsene mit mindestens Abitur dürften gegenüber solchen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen deutlich in der Überzahl sein. Außerdem fällt auf, dass Menschen mit Migrationshintergrund hier eine deutlich geringere Rolle spielen, als das in anderen juvenilen Subkulturen der Fall ist.
Relations
Die stärksten Übereinstimmungen bestehen mit der Indieszene. Ähnlich wie in der Hipsterkultur ist dort Insiderwissen eines der zentralen Themen. Während dieses im Falle von Indie aber überwiegend auf das Feld der Musik beschränkt bleibt, kommen beim Hipster noch weitere Kunstfelder, vor allem das Kino und die bildende Kunst, hinzu. Hinsichtlich des Musikgeschmack und des (mitunter unausgesprochenen) Selbstverständnisses als kulturelle Elite ticken beide Kulturen ähnlich. Der Musikgeschmack der Indies, das breite musikalische Interessensspektrum und die stilistische Offenheit gegenüber unterschiedlichen Stilen und Genres sowie die Definition dessen, was künstlerische Glaubwürdigkeit genießt dürften in beiden Fällen weitestgehend deckungsgleich sein. Außerdem ist festzuhalten, dass Indie, genau wie die Hipsterkultur, eine der urbanen Mittelschichten darstellt, sich die Szenegänger also auch jenseits ihrer ästhetischen und lebensstilistischen Präferenzen auf der gleichen Ebene begegnen.
Deutliche Abgrenzungsversuche hingegen gibt es von all jenen Szenen, die im jugendkulturellen Mainstream verortet werden – ungeachtet dessen, ob man sich im postmodernen Spiel der Zeichen an deren symbolischen Repertoires bedient (wenn auch in ironischer Form). Man kann davon ausgehen, dass der zeitgenössische Hipster, anders als sein historisches Vorbild, den Szenen tendenziell marginalisierter Jugendlicher (etwa HipHop oder Techno) ablehnend gegenübersteht, indem er sie als „prollig“ und „mainstream“ brandmarkt. Das gilt vor allem dann, wenn sich insbesondere HipHop-Künstler Stilmittel bedienen, die im politisch korrekten Wertesetting dieser Kultur keinen Platz haben. Diese Ablehnung reicht dabei bis weit in den jugendkulturellen Mainstream hinein, der sich solchen Inhalten vermeintlich kritiklos und undifferenziert ausliefert. Interessant ist dabei zu sehen, dass sich auch vormalige Loyalitäten gegenüber ehedem glaubwürdigen und angesehenen Künstlern schnell in Abneigung verwandeln können – nämlich dann, wenn diese kommerziell zu erfolgreich werden und damit in den Ruf kommen, sich „ausverkauft“ zu haben. In diesen Differenzierungsschemata kommt ein elitärer Gestus deutlich zum Ausdruck.
Fokus
Das Hipstertum lässt sich als eine hochgradig individualisierte Kultur beschreiben. Im Zentrum von deren Definition von Individualität steht dabei das Konzept der Exklusivität. Individualität wird hier weder auf Basis einzigartiger Eigenschaften oder Charakterzügen einer Person konstituiert, noch aus deren technischem Können oder „skills“, wie es in anderen Jugendszenen (etwa bei Skatern, im HipHop etc.) der Fall ist. Skills im Sinne des Hipsters sind vielmehr exklusive, vor allem dem Feld der Popkultur entstammende, hochgradig spezialisierte Wissensbestände und Kenntnisse, anhand derer man sich von anderen abzugrenzen sucht (auch in diesem Punkt unterscheiden sich die zeitgenössischen Hipster im Übrigen kaum von jenen Norman Mailers). Wer sich am besten auskennt, hat die Nase vorn. Exklusivität ist in diesem Falle aber nicht mit traditioneller bildungsbürgerlicher Kultiviertheit gleichzusetzen. Ein Kunstwerk, etwa ein Musikstück, wird also nicht vorrangig auf Basis seines (vermeintlichen oder tatsächlichen) intrinsischen künstlerischen Wertes geschätzt, mindestens genauso wichtig ist, dass es möglichst unbekannt ist bzw. lediglich in kleinen elitären Zirkeln zirkuliert. Auch der Umstand, dass es sich noch weitgehend außerhalb der Sphäre der „legitimen Kultur“ der Feuilletons und des institutionalisierten Kulturbetriebes bewegt, ist hier von Bedeutung. Bands etwa genießen etwa vor allem dann hohe Wertschätzung, wenn sie nicht im Verdacht stehen, sich „ausverkauft“, also um des Profits willen (dafür auf Kosten der künstlerischen Glaubwürdigkeit) an die Massenkultur angebiedert zu haben. Niedrige Verkaufszahlen werden demnach oft als Ausweis von Glaubwürdigkeit und damit Qualität gedeutet. Kommerzieller Erfolg und Qualität stehen dieser Logik nach also in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis. Das führt dazu, dass insbesondere das Obskure und Vergessene, das Bizarre und Jenseitige – kurz: das Esoterische – hohe Wertschätzung genießt. Demgemäß ist man auch auf kein bestimmtes musikalisches Genre fokussiert.
Neben Musik sind auch andere Kunstformen von Bedeutung: das Kino, Comics bzw. Graphic Novels sowie zeitgenössische Kunst, wobei gerade jene Werke im Mittelpunkt stehen, die das postmoderne Spiel mit hintergründigen Zitaten und versteckten Anspielungen am besten beherrschen, also solche, die der Betrachterin oder dem Betrachter ein mitunter beträchtliches populärkulturelles Vorwissen abverlangen, das bei Hipstern die wichtigste Form des kulturellen Kapitals darstellt – man denke etwa an die Filme des US-amerikanischen Regisseurs Wes Anderson, deren Erzählweise von Nostalgie und Ironie getragen wird und die unter anderem auf Grund ihrer sorgfältig kompilierten Soundtracks hoch angesehen sind.
All das bedeutet aber nicht, dass man den Werken der Mainstreamkultur strikt ablehnend begegnen würde. Diesen wendet man sich aber lediglich bei gleichzeitiger ironischer Distanzierung zu, also einem Modus, der zwar nicht offen affirmativ, gleichzeitig aber auch nicht dezidiert kulturkritisch grundiert ist. Ein offenes Bekenntnis ist hier zwar nicht möglich, über den Umweg des Kitsch oder des Trash (wie z.B. 90er-Mottopartys) können der Eurodance der 1990er-Jahre, Zombie-B-Movies oder Yps-Hefte aber durchaus auch im kulturellen Hipster-Kosmos eine ganz eigene Form von Legitimität entfalten.
Einstellung
Im Zentrum des Wertesettings des Hipsters stehen die Konzepte der Individualität und der Selbstverwirklichung, während ihm Sicherheit und materielle Güter eher unbedeutend sind. Das bedeutet, dass er eher auf der postmaterialistischen Seite des Wertespektrums steht. In der Praxis kann das etwa dazu führen, dass in Fragen der Arbeitsplatzwahl Aspekte der persönlichen Weiterentwicklung, der Möglichkeit zur Gestaltung des Jobs oder das Ausleben der eigenen Kreativität wichtiger sind als feste Verträge, geregelte Arbeitszeiten und gute Bezahlung. Aus diesem Grund versprechen kreative Berufe, ob in der Kreativindustrie oder im Feld der Kunst, hier besonders hohes Sozialprestige.
Vergleicht man den zeitgenössischen Hipster-Typus mit jenem Norman Mailers, so fällt auf, dass der explizit gegenkulturelle Habitus des traditionellen Hipsters zwar fortbesteht, allerdings in eher oberflächlicher Art und Weise als eine Anti-Mainstream-Haltung. Das heißt, dass er nicht mehr auf einer gesellschaftlichen oder politischen Ebene aufbegehrt. Ihm geht es vor allem um ästhetische Differenz zum verhassten Mainstream. Diese manifestiert sich sowohl im Feld der Kultur (man zieht sich in die Nischen der Independentkultur zurück und wettert gegen den stumpfsinnigen Mainstream, würde aber etwa Adornos gesellschaftskritische Kulturindustriethese nicht unterschreiben) als auch in jenem des Konsums. Man ist nicht per se gegen Konsum eingestellt, konsumiert aber „bewusst“, d.h. im Bio-Laden anstatt im Supermarkt oder in kleinen Boutiquen oder Secondhand-Läden eher als bei H&M. Auch hier tritt also ein recht elitärer Gestus zutage.
Schließlich ist ein besonders deutlich ausgeprägter Hang zur Individualität zu nennen. Hipster verwehren sich dagegen, einer Gruppe zugerechnet zu werden, was es letztlich auch schwierig macht, von den Hipstern als von einer Szene im herkömmlichen Sinne zu sprechen. Das bedeutet aber auch, dass das vermeintlich Außergewöhnliche überall eine bedeutende Rolle spielt: angefangen beim Musikgeschmack über Kleidung, Reiseziele bis hin zur eigenen Biographiegestaltung ist Distinktion wichtig. Dies erklärt auch den Hang des Hipsters zum Exotischen und Abseitigen, garantiert dessen Kenntnis doch exklusives Insiderwissen, mit dem man gegenüber anderen punkten kann.
Lifestyle
Anders als eher freizeitorientierte Jugendszenen gibt es im Falle des Hipsters keine Trennlinien zwischen dem Reich der Freiheit und jenem der Notwendigkeit. Arbeit und Freizeit sind nicht mehr voneinander getrennt. Das bedeutet nicht nur, dass man rund um die Uhr telefonisch oder per Mail zu erreichen ist (das ist ohnedies schon zur Normalität geworden) sondern geht noch weiter. Geht man auf ein Konzert, so verfasst man am nächsten Tag einen Blogbeitrag, um die eigene Webseite zu promoten. Man arbeitet (selbstredend auf dem MacBook) im Cafe oder von zu Hause, weil man den öden Bürotrott ablehnt. Die Arbeitszeit möchte man so flexibel wie möglich gestalten. Die typische Attitude des Hipsters wird in allen Lebensbereichen manifest, nicht nur, wie in anderen Jugendszenen, in der Freizeit. Angefangen bei der Wohnung, die man bevorzugt in einem Szenestadtteil nimmt, über die Ansprüche, die man an den Beruf stellt und die zur eigenen Persönlichkeit passen müssen bis hin zum Nachtleben versteht sich der Hipster als ein Gesamtkunstwerk.
Neben den Begriffen der Individualität, Kreativität und einer alternativkulturell geprägten Kultiviertheit rückt auch der Begriff der Nachhaltigkeit zunehmend in den Fokus – zumindest bis zu dem Grade, zu dem dieses Konzept nicht mit einer latent hedonistischen Lebenseinstellung in Konflikt gerät. Das bedeutet, dass es insbesondere bei den alltäglichen Konsumentscheidungen zum Tragen kommt: Bioessen und ein Trend zum Vegetarismus, Fahrradfahren und Fair-Trade-Klamotten repräsentieren dieses Konzept, an seine Grenzen stößt es jedoch etwa bei im fernen Osten unter ausbeuterischen Arbeitsbedingungen produzierten Smartphones oder umweltschädlichen Flugreisen zu exotischen Destinationen und kurzen Wochenendtrips in die angesagten europäischen Metropolen.
Ein ähnliches Verharren auf der symbolischen Ebene findet sich auch im Bereich der Politik. Auf der einen Seite ist eine kritische, tendenziell „linke“ Sichtweise auf Politik fest im Habitus verankert, auf der anderen Seite führt dies aber selten zu eigenem Engagement. Denn das Eingebundensein in größere Bewegungen oder gar Institutionen müssten aus deren Sichtweise mit dem Verlust der Individualität, einer Unterordnung unter fremde Autoritäten und dem Mitschwimmen mit der Masse bezahlt werden.
Symbole
Der symbolische Ausdruck des Hipsters hat vor allem ein Ziel: Die Akzentuierung der eigenen Individualität. Dies kann durch Einzelstücke nur sehr schwer gewährleistet werden, letztlich geht es also vor allem darum, rund um die eigene Person einen ganzen Symbolkosmos zu erschaffen, der so distinktiv wie möglich den eigenen Geschmack zum Ausdruck bringen soll. Drei zentrale Stilmittel, mit denen dieses Ziel erreicht werden soll, sind Vintage, Ironie und Exklusivität (Exklusivität hier im Sinne von Insiderwissen, nicht von Geldwert). Beispielhaft stehen dafür T-Shirts mit dem Aufdruck einer längst untergegangenen Firma oder Traditionsmarke, die in einem Second-Hand-Laden erworben wurden. Auch neue oder alte Band-T-Shirts oder die Stücke aufstrebender Jungdesignerinnen und Jungdesigner können diesen individualistischen Anspruch erfüllen. Im Prinzip steht das Einzelstück alleine aber für nichts, erst in der möglichst originellen, gewagten oder exzentrischen Kompilation eines stimmigen Symbolensembles kommt Meisterschaft zum Tragen.
Als ein typisches Symbol, das Individualität, Geschmack und hochwertiges Design mit einem lebensstilistischen Statement vereint, kann das Fixie-oder Eingangrad gelten. Das sind Fahrräder, die man sich, im Laden oder über das Internet, bausatzartig aus verschiedenen Einzelteilen selbst zusammenstellen kann, was den seriell produzierten Rädern dennoch die Aura exklusiver Einzelstücke verleiht. Da solche Räder auf Gangschaltungen und häufig auch auf Handbremsen verzichten, sind sie vor allem für den Stadtverkehr geeignet, worin also ein urbaner Lebensstil zum Ausdruck gebracht werden kann. Die Räder sind also auf das Notwendigste reduziert, was sich als Fokus auf reine Funktionalität und damit als Abgrenzung vom Mainstream, der sich vermeintlich Geräte wünscht, die sich durch eine Akkumulation überwiegend sinnloser Funktionen auszeichnen, verstehen lässt. Außerdem sind diese Räder im oberen Preissegment angesiedelt, was wiederum Qualität suggeriert und sie lassen sich weiters als ein im Vergleich zum Auto nachhaltiges Verkehrsmittel lesen, was wiederum den Gedanken der Nachhaltigkeit repräsentiert.
Hinsichtlich der Symbole gibt es eine weitere Parallele zum ursprünglichen Hipster. Dieser hat sich in den 1950er-Jahren zum Zeichen seiner gesellschaftlichen Außenseiter- und Revoluzzerposition neben dem vermeintlichen Lebensstil auch die Symbole der afroamerikanischen Minderheit zu Eigen gemacht. Die Anfänge des zeitgenössischen Hipsters zeichnen einen ähnlichen Aneignungsprozess. Da aber die Symbole der exkludierten afroamerikanischen Minderheiten vom HipHop bereits gewissermaßen vereinnahmt wurden, bediente man sich stattdessen an den Vorlieben der weißen Unterschichten, dem sogenannten „White Trash“: die für die frühen Erscheinungsformen des Lebensstils charakteristischen Truckermützen, die Waldschratbärte und Ruderleibchen legen davon Zeugnis ab. Auch wenn fraglich ist, ob diese anfänglich mit einer ähnlichen Bedeutung aufgeladen waren wie bei den traditionellen Hipstern oder ob sie nur in Form eines rein ironischen Modeaccessoires aufgetreten sind, ist dies dennoch eine faszinierende Gemeinsamkeit.
Rituale
Rituale können in zwei unterschiedlichen Formen auftreten. Auf der einen Seite können sie den Gruppenzusammenhalt stärken, indem sie sich der Pflege von Gemeinsamkeiten widmen, auf der anderen Seite können sie aber auch dazu dienen, die eigene In-Group von der Out-Group (d.h. dem „Rest der Welt“) zu differenzieren, sich also von Außenstehenden abzugrenzen.
In der Hipsterkultur ist der Wert der Exklusivität, repräsentiert durch beinahe esoterisch anmutendes Insiderwissen, von hervorragender Bedeutung. Konsequenterweise drehen sich also auch die Rituale um den Erwerb und den Austausch ebendieses Wissens. Da Hipster für sehr viele unterschiedliche Formen kultureller Produktion offen sind, angefangen bei der Musik bis hin zu alternativen Spielweisen der zeitgenössischen Kunst und der künstlerischen und Avantgarde, erfüllen gemeinschaftliche Unternehmungen in diesem Feld hier den Zweck von Ritualen. Das können gemeinsame Konzertbesuche sein, Vernissagen oder Performances.
Anders als bei anderen juvenilen Subkulturen steht hier aber nicht das gemeinschaftliche Erleben auf der emotionalen Ebene im Vordergrund, mindestens ebenso wichtig ist die diskursive Nachbereitung des Erlebten auf der intellektuellen Ebene. In diesem Aspekt erinnert der Modus des gemeinsamen Erlebens tendenziell eher an jenen des Bildungsbürgertums, das schließlich auch schwerpunktmäßig den sozioökonomischen Hintergrund dieser Kultur bildet. Euphorisches Mitsingen oder Tanzen auf Konzerten kommt hier vergleichsweise selten vor, der Kunstgenuss ist eher kontemplativ als expressiv orientiert (Ihr Vorschlag ist besser).
Events
Da Hipster einen sehr weiten kulturellen Horizont haben, ist es schwierig, spezifische hier typische Events aufzulisten. Dies hat auch damit zu tun, dass man allem, was als zu „mainstreamig“ erscheinen würde, sehr distanziert begegnet. Man trifft sich also überwiegend auf kleinen Clubkonzerten, alternativen Off-Veranstaltungen oder Kulturfestivals. Vermutlich würde der Hipster alleine dem Begriff des Events sehr skeptisch gegenüberstehen, da er eher Massentauglichkeit als hochwertige Kultur impliziert.
Als typisch können kleinere bis mittelgroße Filmfestivals angesehen werden. Diese erfüllen mehrere essenzielle Ansprüche: sie finden an Orten statt, die in dieser Kultur eine hohe Anziehungskraft haben, nämlich unabhängigen Programmkinos; sie erfüllen mit ihrem Fokus auf künstlerische anspruchsvolle Filme den allgemein hohen Standards an Kulturprodukte; der „Arthouse-Film“ ist, insbesondere unter jungen Menschen, nach wie vor eher Nischenprogramm und steht deswegen nicht unter Mainstreamverdacht; auf solchen Festivals werden überwiegend Filme gezeigt, die nachher keinen Verleih finden, deren Vorführung im Rahmen eines Festivals also im engeren Wortsinn exklusiv bleibt; die Auswahl dessen, was man sehen möchte erfordert angesichts eines breiten Programmangebotes ein gewisses Vorwissen oder zumindest Spezialinteressen, die sich in der individuellen Programmgestaltung wiederspiegeln und anschließen thematisiert werden können etc.
Schließlich soll noch ein Einzelevent herausgegriffen werden: der Hipster-Cup (ehemals Hipster-Olympiade). Die Veranstaltung findet in Berlin statt und ist eine der wenigen Möglichkeiten, sich (wenn auch mit dem obligatorischen ironischen Augenzwinkern) offen zum Hipstertum zu bekennen. Hier treten unterschiedliche Teams in verschiedenen Disziplinen gegeneinander an, die jeweils ein vermeintlichen Hipsterklischee aufgreifen und in einen sportlichen Wettbewerb verwandeln. Der Hornbrillen-Weitwurf, das Hipster-Vintage-Bart-Basteln, der Vinyl-Platten-Drehen und das Jutebeutel-Sackhüpfen sind hier als einige exemplarische Disziplinen zu nennen.
Treffpunkte
Neben den bereits erwähnten Events gibt es zahlreiche weitere informelle Treffpunkte wie kleine Clubs, Bars, Kneipen und Cafes. Gerade Cafes sind hier besonders zu nennen, da man sich hier nicht nur mit Freunden trifft, sondern diese auch gerne tagsüber zum Arbeiten aufsucht. Besonders beliebte Einrichtungsgegenstände sind dabei bequeme Sofas und Vintage-Möbel, die in Kombination mit gedämpftem Licht eine gemütliche und authentische Atmosphäre erschaffen sollen. Helles Licht und eine moderne Einrichtung hingegen findet man hier eher selten.
Neben solchen Lokalitäten sind es erneut jene mit einer kultivierten Atmosphäre, die in dieser Subkultur einen guten Ruf genießen. Kleine Programmkinos bieten sich hier genau so an wie Museumscafes. Ein besonders typisches Beispiel ist hier das Wiener Museumsquartier, das auf einem begrenzten Areal klassische und zeitgenössische Architektur, moderne Kunstmuseen, Veranstaltungsräume und Werkstätten sowie ganz unterschiedliche Restaurants, Bars und Cafes versammelt und zudem noch einen großen Innenhof bietet, auf dem man ohne Konsumzwang auf extra dafür zu Verfügung gestellten Großmöbeln in der Sonne fläzen und dabei plaudern kann.
Medien
Da der Typus des Hipsters keine regional begrenzte sondern vielmehr eine globale ist (die lokalen Orientierungen sind meinem bisherigen Kenntnisstand nach vernachlässigbar), sind es vor allem Onlinemedien, die von besonderer Bedeutung sind. Musik-, Kunst- und Modeblogs sorgen für eine weltweite Verbreitung des spezifischen Wissens in all diesen Punkten. Mainstreamangeboten steht man auch in diesem Fall skeptisch gegenüber, während solche Plattformen, die im Ruf stehen, unabhängig zu sein, tendenziell größere Glaubwürdigkeit für sich beanspruche können. Auf Grund der unüberschaubaren Anzahl von Angeboten und dem ausgesprochenen Nischencharakter vieler dieser Angebote fällt es schwer, eines als besonders exemplarisch vorzustellen. Am ehesten ist hier das Musikmagazin Pitchfork (pitchfork.com) zu nennen, das einen Mix aus etablierten Independentmusikerinnen und -musikern sowie vielversprechenden Newcomern vorstellt.
Ein interessanter Nebenaspekt ist hier die Art und Weise, wie die Hipsterkultur in den Weitend des Netzes selbst thematisiert wird bzw. wie sie sich hier selbst thematisiert. Hier fällt auf, dass es eine Fülle von Memes zur Hipsterthematik gibt. Besonders beliebt sind Sujets, die in Bilder fiktionaler oder historischer Persönlichkeiten schwarze Hornbrillen (als stereotypes Hipstersymbol) hineinmontieren und diesen dann „hipstertypsiche“ Sätze in den Mund legen. Diese kreisen häufig in ironischer Art und Weise um den Themenkomplex „Mainstream vs. Underground“, wobei kaum festzustellen ist, ob diese Memes von deklarierten Hipstergegnern oder von der Kultur Nahestehenden selbst publiziert werden. Mitunter höchst subtile oder hintergründige Anspielungen legen den Schluss nahe, dass es sich hier überwiegend und Zeugnisse von Selbstironie handelt, letztlich kann die Frage an dieser Stelle aber nicht letztgültig beantwortet werden.
In punkto Printmagazine sind (neben jeweils spezifischen Special-Interest-Magazinen) spielen hier vor allem die Publikationen Spex und De:Bug eine wichtige Rolle, nicht zuletzt deswegen, weil sie sich nicht alleine auf Musik fokussieren, sondern thematisch jeweils sehr breit aufgestellt sind und zusätzlich noch Themen wie Mode und Kunst behandeln oder sogar, wie im Falle der De:Bug, den gesamten „elektronischen Lebensaspekt“, was auch Dinge wie Videospiele oder technische Gadgets mit einschließt. Auf Grund des (neo-)bildungsbürgerlichen Habitus‘ kann man zudem davon ausgehen, dass auch traditionelle Medienangebote wie Nachrichtenmagazine („Der Spiegel“) und Tageszeitungen („taz“) hier noch eine vergleichsweise wichtige Rolle spielen, ebenso wie vor allem die Spartenkanäle des Öffentlich-Rechtlichen Fernsehens: ZDF_neo, ZDF info, EinsPlus sowie arte und 3sat.