Szeneprofil:
Metal
Intro
Heavy Metal, oder einfach nur „Metal“, bezeichnet sowohl Musik als auch die daraus erwachsende weltweite Szene. Beide sind stilistisch und regional so vielschichtig ausdifferenziert, dass selbst langjährig in der Szene Aktive diese nicht mehr komplett überschauen können. Metal inszeniert sich über die Rolle des unabhängigen Außenseiters, der vor allem Tradition, Durchhaltevermögen, Freiheit und Freude in der Beschäftigung mit Musik schätzt.
Nachdem Metal lange allem als Projektionsfläche für Ängste und Vorurteile von Außenstehenden diente – und sich dafür auch bereitwillig anbot – wird die Szene von der medialen Öffentlichkeit zwar weiter nicht in Breite und Tiefe verstanden, jedoch zunehmend mit wachsendem Interesse beobachtet. Das hängt einerseits mit der grotesk anmutenden Jugendlichkeit zusammen – Metal wird auch im fünften Jahrzehnt scheinbar nicht erwachsen, sondern hängt in zahlreichen Variationen den gleichen altbackenen Ideen, Themen und Bildwelten nach. Andererseits irritiert Metal durch die Wertschätzung seiner Anhänger für die Musik und die Menschen dahinter: Auch wenn neue technische und soziale Entwicklungen am Metal nicht spurlos vorübergehen, so halten nicht nur ältere Metal-Heads an Ideen und Werten von „guten, alten“ Zeiten fest, sondern bei einer jungen Metal-Generation erlebt die Vinyl-LP ihren dritten Frühling und vieles im Leben gründet auf „Metal“ als Teil der eigenen Identität.
Hier findet ihr ein Interview mit Götz Kühnemund
History
Heavy Metal gilt aus musikhistorischer Sicht als Weiterentwicklung des (Blues & Hard) Rock, greift jedoch derweil mannigfaltige Einflüsse aus Punk und Hardcore ebenso auf wie aus Folk und klassischer Musik auf. Seine Geburtsstunde wird gemeinhin auf die Veröffentlichung des Debut-Albums der englischen Band Black Sabbath (19kk) datiert. Der Chronist des Heavy Metal, Ian Christe, notiert dazu: „Ihre düsteren Klänge glichen einem Sirenenruf, gerichtet an eine tiefe, unbefriedigte Leere im modernen Bewusstsein.“
In den Achtziger Jahren differenziert sich nicht nur die Musik in zahlreiche Subgenres aus, sondern die New Wave Of British Heavy Metal inspiriert zahlreiche Hörer, sich aktiv im Metal einzubringen – sei es durch die Gründung einer eigenen Band, die Veranstaltung von Konzerten, die Herstellung eines Fanzines oder die Förderung von Freundschaften und Netzwerken in Cliquen oder Vereinen.
In den Neunziger Jahren kommt der Metal nicht zuletzt aufgrund gefälliger Produktionen endgültig im musikalischen Mainstream an. Das provoziert eine Rückbesinnung auf traditionelle Klänge und Ästhetik und führt zu einer Radikalisierung derselben vor allem im Death-, Black- und Extreme Metal, sowie damit verwobenen Stilen wie Grindcore.
Einige im Metal langjährig Aktive beobachten, dass sich die Szene im Underground in Wellen stilistisch und/oder thematisch radikalisiert. Die sich daraus ergebenden Entwicklungen werden zunächst von kleinen Labels und Fanzines gefördert, bevor sie – weniger radikal – an die Oberfläche dringen und von vergleichsweise „großen“ Musikverlagen kommerziell verwertet werden.
In den 2010er Jahren gewinnen mit Stoner & Vintage Rock sowie Doom Metal jene Stile erneut an Attraktivität, die sich am Stärksten an den Grundlagen des Heavy Metal orientieren.
Literatur
Berger, Harris M., Greene, Paul D. & Wallach, Jeremy: Metal Rules The Globe, Durham 2011.
Christe, Ian: Höllen-Lärm. Die komplette, schonungslose, einzigartige Geschichte des Heavy Metal, Höfen 2013.
Lücker, Christoph: Das Phänomen Heavy Metal: Ein Szene-Portrait, Oberhausen 2011.
Nohr, Rolf F. / Schwaab, Herbert (Hg.): Metal Matters. Heavy Metal als Kultur und Welt, Münster 2011.
Nolteernsting, Elke: Heavy Metal. Die Suche nach der Bestie, Berlin 2002.
Strukturen
Die Metal-Szene ist hierarchisch organisiert und männlich dominiert. Einen guten Ruf und einen entsprechenden Status kann sich erarbeiten, wer sich für Metal beständig und mit Leidenschaft einsetzt – und das auch entsprechend dokumentiert. In dieser Hinsicht unterliegt auch die Metal-Szene den Gesetzen der neuen Medien und dem Diktat der gelungenen Selbstdarstellung.
Die Metal-Szene strukturiert sich lokal und global. Es gibt Städte, Gebiete und Länder, die für individuelle Metal-Stile bekannt sind, z.B. die Bay Area (Thrash Metal), Göteborg (Melodic Death Metal) oder Norwegen (Black Metal). Die damit verbundene Identität kann – vor allem in kommerzieller Hinsicht – als Vorteil, wie – eher in künstlerischer Hinsicht – als Nachteil begriffen werden.
Fakten
Heavy Metal verbindet mehrere Generationen von Hörern und Szenegängern. Im fünften Jahrzehnt entwickelt und differenziert sich die Szene im eigenen Tempo aus, was es schwierig macht, die Akteure „über einen Kamm zu scheren“, denn die Angebote im Metal richten sich an ein heterogenes Publikum. So gilt Metal z.B. immer noch als „maskuline“ Musik und ist fraglos männlich geprägt, doch begleiten den Metal auch seit Jahrzehnten Diskussionen um stereotype Geschlechter-Rollen und zunehmend mehr Frauen gestalten die Szene aktiv mit – einige von ihnen auf eine Weise, die in der Tat an den Klischees von männlicher Dominanz nicht rüttelt.
Angesichts der verkauften Tonträger und der Besucherzahlen von Festivals wie Konzerten scheint die Szene in einem beständigen wie überschaubaren Auf und Ab, wobei Totgesagte länger leben: Im Grunde gibt es kaum eine Stilrichtung, die nicht wieder nach einigen Jahren bis Jahrzehnten erneut an Bedeutung gewinnt, so feiert der Thrash Metal ein Revival und der lange nur für Eingeweihte attraktive Doom Metal begeistert fünf Dekaden nach seiner Grundsteinlegung junge Szenegänger und inspiriert sie zu stilistischen Weiterentwicklungen in verschiedene Richtungen.
Relations
In Re-Enactment-Gruppen und auf Mittelalter-Märkten sind häufig Metal-Fans anzutreffen, was angesichts des thematischen Fokus und der dortigen Aktivitäten kaum erstaunen dürfte: Hier findet (andeutungsweise) das statt, was zahlreiche Metal-Bands besingen. Freundschaftliche Kontakte zur (Stoner-) Rock-Szene liegen in gemeinsamen musikalischen Wurzeln und einem ähnlichen Ethos begründet. Sympathie und Antipathie gegenüber der Gothic-Szene halten sich in etwa die Waage, wobei der dort vergleichsweise hohe Anteil von Frauen bei einigen Metal-Fans Neugier an dieser Szene weckt. Die gelegentlich diskutierte Nähe zur extremen Rechten gründet eher auf Ängsten und Vorurteilen Außenstehender; sie betrifft nur einen kleinen Teil der Szene.
Fokus
Bei einem Blick in die zahlreichen Metal-Medien fällt auf, dass Metal-Fans sich stark mit Fragen des musikalischen Werdegangs, der Selbstdarstellung der Musiker, mit ihren Texten und Botschaften, sowie mit der Erschaffung der Musik im Studio wie auf der Bühne beschäftigen – Metal ist mehr als Musik und vor allem eine Frage der Authentizität. Diese Themen sind auch im persönlichen Beziehungs-Netzwerk interessant: wer ist wie lange dabei und vor allem wie bewandert in der metallischen Materie?
Im Mittelpunkt des Interesses steht natürlich die Musik, wobei Neuerscheinungen ebenso leidenschaftlich diskutiert werden wie Klassiker der vielfältigen Subgenres. Metallische Musik und Identität werden vor allem in Abgrenzung zu anderen Musikszenen bzw. der übrigen Gesellschaft konstruiert – es gehört zum metallischen Selbstverständnis, unverstandener gesellschaftlicher Außenseiter mit vergleichsweise desillusionierter bis apokalyptischer Weltwahrnehmung zu sein. Es ist praktisch unmöglich, sich im Metal zu bewegen, ohne nicht radikaler Kritik an religiösen Organisationen, insbesondere den christlichen Kirchen, zu begegnen.
Angesichts der vermeintlich paradiesischen Angebotsvielfalt an Tonträgern, Konzerten und Festivals wird in den Jahren nach der Jahrtausendwende auch hier Kritik an der Überflussgesellschaft wie am Konsumismus laut.
Einstellung
Im Metal werden vor allem Authentizität, Durchhaltevermögen, Traditionsbewusstsein und Verlässlichkeit wertgeschätzt. Ein echter Metalhead wird und ist man nicht irgendwie ein bisschen, sondern mit Haut und Haaren. Nicht wer einmal im Jahr zum Festival nach Wacken fährt, ist Metaller, sondern derjenige, der auch unter widrigen Umständen für Metal einsteht und dessen Begeisterung für Metal keine oder kaum Grenzen kennt.
Auf musikalischer Ebene verpflichtet das die Bands zur Treue sich selbst gegenüber: Wer vom einst eingeschlagenen Weg z.B. zugunsten „kommerzieller Eingängigkeit“ abweicht, dem droht der Liebesentzug der Fanbasis. Anderen Bands, die ihrem ursprünglichen Stil die Treue halten, werden hingegen auch mittelmäßige Alben verziehen, wenn sie nur „ihr eigenes Ding“ durchziehen.
Lifestyle
Ein metallischer Lebensstil umfasst neben der intensiven Auseinandersetzung mit Musik und der Pflege von häufig langjährigen Freundschaften mit anderen Metal-Heads – je nach Möglichkeit – ein Auftreten als erkennbarer Metal-Fan, der seinen Geschmack und seine Einstellung durch die subtile bis offensichtliche Zusammenstellung und Gestaltung seiner Kleidung mit Hilfe von Merchandise-Artikeln andeuten kann. Was Außenstehenden als uniforme Kleidung erscheinen mag, hält für Insider unzählige Möglichkeiten zu nuancierter Selbstoffenbarung bereit: Eine so genannte „Kutte“ (in der Regel eine Jeans-Weste oder -Jacke) kann in der Kombination zahlreicher Aufnäher (so genannter „Patches“) ebenso spezielle Hinweise auf ihren Träger liefern wie eine scheinbar zurückhaltende Kombination von einem bestimmten Band-Shirt mit Casual Wear.
Der metallische Lifestyle wird öffentlich vor allem auf Konzerten und Festivals gelebt. Der dortige Alkoholkonsum wird den tradierten Gerüchten und Vorurteilen allenfalls annähernd gerecht. Im Vordergrund steht die gemeinsame, unbeschwert verbrachte Zeit mit Gleichgesinnten in der mittlerweile internationalen Metal-Familie. Für viele Szenegänger bilden die Festivals den Höhepunkt eines Metal-Jahres, weil sie hier einige Tage lang den Alltagstrott hinter sich lassen und ihre Musik und sich selbst feiern können.
Symbole
Als in sich selbst widersprüchlicher, weil moderner Gegenentwurf zur Moderne, verfügt der Heavy Metal über ein Arsenal an Symbolen, die ebenso banal wie kryptisch in Szene gesetzt werden können: (Invertierte) religiöse und spirituelle Symbole, Bandlogos in je eigener für die Subgenres typischer Ästhetik, Gitarre, die so genannte „Pommesgabel“, Haarlängen, Tattoos, Schuhe, Patches, Festival-Bändchen, diverse Merchandise-Artikel – von außen betrachtet mag der Metal symbolisch überfrachtet wirken.
In der Tat werden Symbole zuweilen so bedeutungsvoll aufgeladen, dass nur Eingeweihte ihre spezifische Bedeutung verstehen, was den Zugang zu manchen Subgenres bzw. -Szenen erschweren kann. Wie so häufig sind hier Nuancen entscheidend, gleichwohl wie nahezu überall gilt: wer lange genug dabei ist und wessen Authentizität nicht in Frage gestellt wird, der braucht sich auch nicht mit (vielen) Symbolen zu schmücken.
Rituale
In einer so traditionsbewussten Szene wie dem Heavy Metal werden Rituale mitunter liebevoll gepflegt, vor allem, wenn sie langjährige Freundschaften begleiten und wie selbstverständlich bekräftigen, wobei nicht selten Bier im Spiel ist, mit dem auf die Freundschaft, den Metal und die gemeinsamen Werte getrunken wird. Manche Konzert-Rituale unterscheiden sich von Subszene zu Subszene, so wird eine „Wall of Death“ nicht im Gothic Metal praktiziert und ein „Mosh Pit“ findet im Doom Metal naturgemäß nicht statt, während der als „Horns“ oder „Pommesgabel“ bekannte Gruß von fast allen Metal-Fans ebenso geteilt wird wie das Headbanging.
Events
Konzerte und Festivals sind die essentiellen Events im Heavy Metal, weil hier die Musik live auf die Bühne gebracht wird – und diese Kunst wird mehr geschätzt als jegliche Discos, gleichwohl sich auch hier einzelne geschätzte Veranstaltungen mit einem besonderen Programm einen guten Ruf erwerben können. Das Angebot ist selbst für langjährige Szenegänger nur schwer zu überschauen: Neben großen Festivals wie dem Wacken oder Summer Breeze locken kleinere Indoor- und Open-Air-Festivals über das ganze Jahr mit einem weit ausdifferenzierten Programm. Und für saturierte Metal-Fans werden derweil Kreuzfahrten mit metallischer Beschallung angeboten, wobei diese Form der Eventisierung von weiten Teilen der Szene kritisch beäugt und in Frage gestellt wird.
Treffpunkte
Metal-Anhänger treffen sich auf Konzerten in Clubs oder Hallen, und natürlich auf Festivals. Das Angebot ist sehr differenziert und reicht vom Underground-Gig im Hinterzimmer einer Kneipe oder im Jugendzentrum bis zum bereits erwähnten viertägigen Festival-Event in Wacken oder Konzertreisen auf Kreuzfahrtschiffen. Während manche Clubs oder Kneipen die Heimat lokaler Metal-Fans oder gar -Vereinen bilden, werden auf jährlich stattfindenden Festivals mit spezifischem Programm internationale Freundschaften gepflegt.
Treffpunkte sind ferner Wohnungen, WGs oder Häuser von Metal-Fans, sowie bestimmte, der Ästhetik des Metal entsprechende Orte, wie z.B. Burgen, Ruinen, Berggipfel oder generell eher abgelegene Plätze in schöner Naturlandschaft, die Abstand vom Alltag und gesellschaftlichen (erlebt: oberflächlichen) Einerlei bieten.
Medien
In keinem Genre werden Vinyl-Tonträger konstant so stark nachgefragt wie im Heavy Metal, und überhaupt ist der Verkauf physikalischer Tonträger hier nicht ganz so stark eingebrochen wie in weiten Teilen der Musikindustrie. Aufwändige Herstellungen und verschiedene Formate zwischen Standard-CD und so genannten „Luxus-Editionen“ sprechen sowohl die „Puristen“ unter den Fans an als auch diejenigen, die mehr zu investieren bereit sind – sei es z.B. für eine Bonus-DVD, oder auch für Bundle-Packages, also Tonträger und Merchandise im Paket.
Neben etablierten Magazinen wie dem Rock Hard und dem Metal Hammer, welche Heavy Metal im weitesten Sinne zu präsentieren vorgeben, gibt es zahlreiche Fanzines mit individuellem Fokus auf bestimmte Genres und Themen. Einige davon werden immer noch kopiert oder gedruckt, doch der Trend zum Online-Magazin, -Fanzine oder -Blog ist unverkennbar. Wie zahlreiche Entwicklungen im Heavy Metal wird auch diese von den Fans kritisch diskutiert: einerseits werden Online-Magazine vor allem zur Information über Neuerscheinungen, Konzerte und Szene-News genutzt, andererseits bemängeln vor allem ältere Szenegänger, dass diese Medien quasi nur noch einen verlängerten Promotion-Arm der Labels darstellen und den persönlichen Charakter traditioneller Fanzines vermissen lassen.
Die Encyclopedia Metallum, die so genannten „Metal Archives“ mag allerdings kaum noch ein Fan missen – diese Nutzung des Webs verdeutlicht zudem die riesigen Ausmaße des Metal-Universums: Im September 2014 listet das Archiv nicht weniger als 99.153 Metal-Bands aus aller Welt auf.