Szeneprofil:
Antifa
Intro
‚Antifa‘ steht als Abkürzung für antifaschistisch. Damit wird zunächst die explizit politische Orientierung in der Tradition der Studentenbewegung der 1960er und der kommunistischen Gruppen der 1970er Jahre deutlich. Deutlich wird damit aber auch die konstitutive Relevanz von ‚Gegnerschaft‘: Man ist gegen ‚Faschisten‘ und gegen ‚Faschismus‘. Das heißt jedoch nicht, dass keine ‚eigenen‘ Konzepte bestünden oder lediglich Aktionismus vorherrschen würde; vielmehr stellt die Antifa-Szene den Diskurs stärker in den Mittelpunkt ihrer Kultur als dies in anderen Szenen der Fall ist.
History
Auf die Entwicklung der antifaschistischen Szene haben vor allem drei Arten (jeweils mehr oder weniger) politischer Gruppierungen einen besonderen Einfluss gehabt: kommunistisch orientierte Gruppen, die sich Ende der 1970er Jahre von der Studentenbewegung abgespalten haben, die Hausbesetzerbewegung der 1980er Jahre und die Punkbewegung der 1970er Jahre (zumindest im Hinblick auf die Ursprünge der Antifa-Szene).
Regen Zulauf erhielt die Antifa-Szene zum einen nach dem Zusammenbruch der Deutschen Demokratischen Republik, welcher antifaschistischen Organisationen eine mehr oder weniger dominante Stellung im linksradikalen Spektrum eröffnete. Zum anderen führte die Zunahme ausländerfeindlicher Übergriffe zu Beginn der 1990er Jahre dazu, dass sich v. a. Jugendliche mit der Antifa solidarisierten und bestehenden Gruppen anschlossen; gleichzeitig bildeten sich viele neue Gruppierungen, was zu einer thematischen Ausdifferenzierung der Antifa-Szene führte (z. B. Gruppierungen wie ‚Antideutsche‘, ‚Antinationalisten‘ oder ‚Antiimperialisten‘).
Literatur
Strukturen
Die Antifa-Szene weist einen vergleichsweise hohen Grad an Organisiertheit auf. An ihren Treffpunkten finden sich typischerweise mehr oder weniger geschlossene Gruppierungen ein. Manche dieser Gruppen akzeptieren bzw. proklamieren physische Gewalt als Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele, andere distanzieren sich davon ausdrücklich. Zudem lassen sich Gruppen unterscheiden, die sich auf legale Aktionen beschränken, und solche, die auch illegale Mittel einsetzen. Darüber hinaus legen manche Gruppen ihren Schwerpunkt auf theoretische Diskussionen, während andere der Öffentlichkeitsarbeit den Vorzug geben.
Intern differenzieren sich diese Gruppen weiter aus: Manche Szenegänger zeichnen sich über einen langen Zeitraum durch starkes Engagement aus und erlangen im Zuge dessen eine privilegierte Position, die ihnen ein hohes Ansehen und ein entsprechendes Gewicht bezüglich anstehender Entscheidungen verschafft. Andere bilden sozusagen das Mobilisierungspotenzial, d. h. sie verhalten sich in der Planungs- und Koordinierungsphase eher passiv und nehmen erst in der Durchführungsphase von Projekten eine aktive Rolle ein.
Die einzelnen Antifa-Gruppen arbeiten nur zeitweise zusammen, d. h. wenn z. B. gemeinsame Aktionen beschlossen wurden. Das herausragende Strukturmerkmal der Antifa-Szene besteht mithin in ihrer (organisatorisch gestützten) Gruppenförmigkeit: Innerhalb der Gruppen herrscht weitgehender Konsens bezüglich ideologischer Überzeugungen und (deren) praktischer Umsetzung. Zwischen den einzelnen Gruppen bestehen jedoch vielfältige Unterschiede, so dass eine überregionale Zusammenarbeit häufig ausgesprochen schwierig bis unmöglich ist.
Fakten
Schätzungen – unter Berücksichtigung der Daten des Verfassungsschutzes – belaufen sich auf etwa 6.000 Antifaschisten (Autonome) in Deutschland. Bezüglich der zahlenmäßigen Entwicklung ist davon auszugehen, dass sich Neuzugänge und Abwanderungen in etwa die Waage halten. Die meisten Antifa-Aktivisten sind zwischen 16 und 30 Jahre alt. Jüngere Szenegänger bilden eher die Ausnahme; ältere Szenegänger sind hingegen häufig anzutreffen. Die große Mehrheit der Antifaschisten ist männlichen Geschlechts. Im Hinblick auf die Verteilung von Bildungs- und Berufsabschlüssen in der Szene liegen keine Erkenntnisse vor.
Relations
Überschneidungen bestehen in erster Linie mit verschiedenen ‚alternativen‘ musikzentrierten Szenen (z. B. Punk, Hardcore oder Ska). Darüber hinaus besteht eine gewisse Sympathie für die Skater- und die Graffiti-Szene. Diese lässt sich wohl durch deren problematisches Verhältnis zu staatlichen Regelungen und Institutionen begründen. So sind viele Antifaschisten von einem hohen politischen Potenzial der Skater und Writer überzeugt. Allerdings entwickeln offenbar nur Splittergruppen in diesen Szenen ein ‚politisiertes‘ Bewusstsein im Sinne der Antifa.
Nicht nur Distanz, sondern dezidierte und bekanntermaßen oftmals gewaltförmig zum Ausdruck kommende Abneigung besteht gegenüber allen, die von der Antifa-Szene als ‚rechts‘ bezeichnet werden. Es ist anzunehmen, dass der so verstandene ‚Gegner‘ konstitutiv sein dürfte für die Existenz der Szene.
Fokus
Den Dreh- und Angelpunkt der Antifa-Szene bildet das, was man gemeinhin unter ‚Politik‘ versteht. Drei (zentrale) politische Tätigkeits- bzw. Aktionsbereiche können unterschieden werden: ‚Öffentlichkeitsarbeit‘, ‚politische Bildung‘ und ‚Aktionen gegen Faschisten‘. Ein Großteil der Öffentlichkeitsarbeit besteht aus redaktionellen und verlegerischen Arbeiten im Rahmen der Konzeption und Erstellung von Flugblättern und antifaschistischen Informationsbroschüren, in der Organisation und Durchführung von Veranstaltungen – wie z. B. Soli(daritäts)-Konzerten, Info-Ständen oder Demonstrationen – und im Aufbau sowie der Unterhaltung von antifaschistischen Organisationen und Institutionen (z. B. Antifa-Cafés und Info-Läden). Politische Bildung ist zunächst auf die Szenegänger bezogen, d. h. es gehört zum Szene-Alltag, beispielsweise über politische Theorien und deren konkrete Umsetzungsmöglichkeiten zu diskutieren. Angesichts der Diskurslastigkeit wird jedoch auch immer wieder das konkrete politische Handeln angemahnt. Politische Aktionen richten sich in der Regel gegen ‚Faschisten‘. Militanz wird dabei zumindest von Teilen der Szene durchaus als Handlungsalternative begriffen. Politik heißt für die Antifa-Szene zweierlei: Diskurs einerseits und Militanz andererseits. Der Diskurs ist die vorherrschende Handlungsform gegenüber ‚Nicht-Faschisten‘, während die Militanz bei der Auseinandersetzung mit ‚Faschisten‘ dominant ist.
Einstellung
Ausgehend von der Grundannahme, dass alle Situationen des täglichen Lebens politisch relevant sind, hegen Antifaschisten den Verdacht, dass der Staat bzw. das ‚System‘ den Alltag der Menschen vollständig durchdrungen habe und z. B. durch Medien oder Konsumangebote bewusstseinsmanipulierend wirke. Große Bedeutung kommt daher der Ausbildung einer autonomen Identität zu, die sich einerseits von der Einflussnahme des ‚Systems‘ emanzipiert und andererseits auf die Abschaffung des als negativ empfundenen kapitalistischen Systems zielt. Die Annahme, dass sich eine autonome Identität nahezu unweigerlich bei denjenigen entwickelt, die sich informieren und reflektieren, stellt eine weitere Kernüberzeugung der Antifaschisten dar. Die Antifa-Szene ist dergestalt gleichermaßen durch rationalistische Ideale und ideologischen Konformismus geprägt.
Der Erlebnisdimension ‚Spaß‘ stehen Antifaschisten ambivalent gegenüber. Ein Antifaschist fühlt sich sozusagen ‚offiziell‘ seinen Idealen verpflichtet, eine ‚bessere‘ Welt zu erstreiten. Gleichwohl wird der Erlebnisdimension ‚Spaß‘ dadurch Ausdruck verliehen, dass kulturelle Aspekte wie Musik, Parties, Konzerte, Kunst etc. in das Konzept eingeschlossen werden, weswegen sich Antifa-Gruppierungen auch von ihren Vorgängern, den kommunistischen Gruppierungen der 1970er Jahre, unterscheiden.
Lifestyle
Eine ‚ganzheitliche‘ Betrachtungsweise und die konsequente Vertretung von Positionen stellen Eckpfeiler des Lifestyles in der Antifa-Szene dar und spiegeln sich im alltäglichen Handeln eines Szenegängers deutlich wider. Eine Trennung von Szeneleben und außer-szenischem Leben und damit die Geltung je unterschiedlicher Wertsetzungen wird explizit abgelehnt. Teil einer ‚Bewegung‘ zu sein, welche die Öffentlichkeit (über ihre ‚Entfremdung‘ und ihr ‚falsches‘ Bewusstsein) aufklärt und dem ‚System‘ trotzt, bildet ein weiteres Element des in antifaschistischen Gruppen geteilten Selbstverständnisses. Daraus resultiert auch die Vorstellung, beständig verfolgt, abgehört und beobachtet werden zu können. So sehr die Antifa-Szene um ‚Aufklärung‘ der Öffentlichkeit bemüht ist, so sehr achten die einzelnen Szenegänger darauf, erforderliche Hintergrund-Aktivitäten geheim zu halten. Dieses Misstrauen gegenüber Außenstehenden begleitet Antifaschisten durch ihren Alltag und verweist auf eine zentrale Bedingung der Szene-Zugehörigkeit: Zugehörigkeit muss in einem langwierigen Prozess der Annäherung – durch Ernsthaftigkeit, Konsequenz und Loyalitätsbeweise – erworben werden.
Symbole
Fünfzackige Sterne, hochgestreckte Fäuste, Piktogramme (welche Figuren zeigen, die Hakenkreuze in Papierkörbe werfen) oder Comicfiguren (die mit Baseballschlägern auf Skinheads einschlagen) sind einschlägige Motive und der symbolische Ausdruck einer antifaschistischen Einstellung. Derartige Symbole finden sich z. B. in Form von Postern in Antifa-Cafés, an prominenter Stelle in Fanzines und auf Flyern, auf Demonstrationen als Transparentmotive und natürlich als Aufnäher oder Drucke auf Kleidungsstücken.
Rituale
Um sich vor Überwachung und Verfolgung zu schützen, nehmen Treffen von Szenegängern mitunter konspirative Züge an: Besprechungen im Vorfeld ‚wichtiger‘ Aktionen finden in ‚Hinterzimmern‘ statt und die Teilnahme ist nur als vertrauenswürdig eingestuften Szenegängern gestattet. ‚Neulinge‘ werden auf ‚Herz und Nieren‘ geprüft, da es sich bei ihnen um ‚Schnüffler‘ handeln könnte. Bedeutsame Inhalte werden am Telefon nicht oder nur verschlüsselt weitergegeben usw. Derartige Rituale weisen darauf hin, dass es sich bei Antifa-Gruppierungen um eingeschworene Gemeinschaften handelt. Die sich beständig wiederholenden Diskussionen über zu treffende Vorsichtsmaßnahmen haben jedoch nicht bloß instrumentellen Charakter. Vielmehr transportieren und konservieren sie die Vorstellung, von Gesinnungsgegnern umgeben zu sein. Dies führt mithin zur Verstärkung der Solidarität unter Szenegängern sowie zur Etablierung von Gruppennormen (z. B. Verschwiegenheit).
Events
Die augenfälligsten Veranstaltungen der Antifas sind zweifellos Demonstrationen. Anlass dafür sind oftmals Veranstaltungen ‚rechter‘ Organisationen oder Parteien, welche ‚gestört‘ werden sollen. In der Regel wird die Organisation einer Demonstration von (einer) der ortsansässigen Antifa-Gruppe(n) übernommen. Szenegänger nicht regional ansässiger Antifa-Gruppen reisen nicht selten gemeinsam an und formieren sich dann im Demonstrationszug zu ’schwarzen Blöcken‘, die den Demonstrationszug anführen und sich ausschließlich aus Szenegängern antifaschistischer Gruppen zusammensetzen. Aktionen (mitunter gewalttätiger Art) z. B. gegen die Polizei und/oder gegen die Teilnehmer ‚rechter‘ Veranstaltungen, gehen in der Regel von diesen Blöcken aus.
Da der Eventbegriff die Erlebnisdimension ‚Spaß‘ konnotiert, wollen die Antifas ihre Demos nicht als ‚Events‘ bezeichnet wissen. Bei Veranstaltungsformen wie Soli-Konzerten und -Parties ist ‚Spaß haben‘ jedoch explizit erwünscht. Gleichwohl dienen solche Veranstaltungen – über die Etablierung bzw. Stabilisierung der szenetypischen Kultur hinaus – v. a. dazu, Aktionen der jeweiligen Antifa-Gruppen zu finanzieren.
Treffpunkte
Die bereits angesprochene Verbindung von Kultur und Politik wird an den in der Szene am meisten verbreiteten Treffpunkten, den Antifa-Cafés, deutlich. Diese zumindest dem Anspruch nach prinzipiell jedem zugänglichen, in der Praxis freilich nur von kulturell nahestehenden Personen besuchten Örtlichkeiten, werden vielfältig genutzt: als Kneipen, für Konzerte und Parties sowie für Diskussions- und Präsentationsveranstaltungen.
Neben dem Hauptraum des Antifa-Cafés existiert üblicherweise noch ein zweiter Raum, dessen Nutzung jedoch dem Szenekern der ortsansässigen Antifa-Gruppen vorbehalten ist. Dort werden gruppeninterne Diskussionen geführt, Aktionen geplant und koordiniert oder Redaktionssitzungen für Info-Blätter etc. abgehalten. Da Antifa-Szenegänger jedoch den Verdacht hegen, dass Antifa-Cafés abgehört werden, ziehen sich viele – zumindest zur Besprechung ‚heikler‘ Angelegenheiten – in private Räume zurück.
Medien
Als Medium der Kommunikation – gerade im Hinblick auf die Koordination von Aktionen bzw. die Pflege von Kontakten – bietet sich das Telefon zwar an, wird jedoch (ebenso wie das Internet) nur unter großer Vorsicht genutzt. Insofern ist das persönliche Gespräch nach wie vor von zentraler Bedeutung im Hinblick auf die Distribution von wichtigen Informationen.
Printmedien kommt in der Antifa-Szene eine zentrale Bedeutung zu. Nahezu jede Antifa-Gruppe bringt ihre eigene Zeitung oder zumindest ein eigenes Info-Blatt heraus. Aufgrund eingeschränkter finanzieller Mittel sind diese Veröffentlichungen meist einfach gestaltet und ausgestattet – überregionale Magazine fallen hingegen etwas aufwändiger und umfangreicher aus. Bezüglich der Themen unterscheiden sich überregionale Magazine kaum von lokalen bzw. regionalen Info-Blättern. Den Inhalt dominieren Berichte über Strukturen, Aktionen und Persönlichkeiten der ‚rechten‘ Szene und der machtrelevanten Institutionen des (jeweiligen) Staates. Viel Raum nimmt darüber hinaus auch die (theoretische) Auseinandersetzung mit ideologischen Konzepten ein. Schließlich fehlt in keinem Heft ein Veranstaltungskalender.
Flyer, die auf bevorstehende Veranstaltungen hinweisen, finden sich an allen szenetypischen Treffpunkten. Auch setzt sich (zumindest) in diesem Punkt vermehrt die Nutzung des Internets durch, um kostengünstig Veranstaltungsinformationen zu verbreiten.
Ein spezifisches Antifa-Medium sind schließlich die so genannten ‚Spuckis‘, d. h. selbst hergestellte Aufkleber, die an öffentlichen Orten angebracht werden. Darauf sind in erster Linie Motive und Symbole antifaschistischer Gruppierungen – häufig in der Kombination mit Parolen wie ‚Nazis raus‘ – abgebildet.