Neuauflage Szene-Steckbrief Metal und Interview mit Götz Kühnemund

Metal-Horns

© Lenny van Dijk

Wir freuen uns, euch die aktualisierte Version des Metal-Steckbriefs präsentieren zu können. Dieser kommt von unserem langjährigsten Autoren und Experten für alles, was hart ist – Thor Wanzek. Zum neuen Steckbrief geht es hier entlang.

Passend dazu hat Thor auch ein Interview mit „dem Götz vom Rock Hard“ geführt, der jüngst mit seinem neuen Projekt Deaf Forever dem Heavy-Metal-Underground ein Forum bietet. Das Interview handelt von neueren Entwicklungen in der Szene zwischen traditionellem Underground und Mainstream im Spiegel von jugendlicher Frische und ‚gepflegtem‘ Altern.

Frei nach dem Motto: „Metal-Fans sind auch nur ganz normale Menschen“ nähern sich die beiden dem Phänomen Metal und bieten einen spannenden Einblick nicht nur für Fans von Musik der härteren Gangart.

Götz Kühnemund vs. Jugendszenen.com

Götz Kühnemund

Götz Kühnemund

Götz Kühnemund ist der wohl bekannteste deutsche Heavy-Metal-Journalist. In den Achtziger Jahren veröffentlichte er zunächst sein eigenes Fanzine „Metal Maniacs“, stieß dann schnell zum damals jungen „Metal Hammer“, moderierte die Metal-Sendung „Mosh“ im TV, doch die meisten kennen ihn schlicht und einfach als „Götz vom Rock Hard“, dessen Profil er über zwei Jahrzehnte lang entscheidend mitprägte. Seit August diesen Jahres ist er mit dem eigens gegründeten Magazin „Deaf Forever“ am Start, mit dem seine Crew und er dem klassischen Hard Rock und weit ausdifferenzierten Heavy-Metal-Underground ein Forum bieten wollen. Hiermit präsentieren wir also ein Gespräch mit einem Experten, der einige Aspekte im jüngst veröffentlichten Steckbrief zur Heavy-Metal-Szene aus langjähriger Erfahrung als Szenegänger und -produzent vertiefen kann.

 

Jugendszenen.com

Götz, die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung begrüßte die Leser auf ihrer Titelseite kürzlich mit scheinbar wilden und doch ganz normalen Typen, die ein „Leben für den Lärm“ führen und die Berichterstattung aus Wacken läuft derweil schon fast routiniert nach dem Motto ab: „Metal-Fans sind auch nur ganz normale Menschen.“ Erst letzte Woche wurde zudem das neue Album von Solstafir auf Spiegel Online als Stream angeboten. Kommt der Metal allmählich in der Mitte der Gesellschaft an und besteht somit die Gefahr, dass Metal langweilig werden könnte?

Götz Kühnemund

ich würde in beiden Fällen „ja“ sagen. Das liegt einerseits daran, dass bei Spiegel Online mittlerweile Leute am Start sind, die mit Metal groß geworden sind und die nun in den Medien das machen [können], was sie selber gut finden. Der Torsten Dörting (Redakteur bei Spiegel Online) steht ja z.B. auf Solstafir und ähnliche Bands. (…) Andererseits habe ich den Eindruck, dass es im Feuilleton gerade in ist, die intellektuellen Seiten des Metal zu entdecken. Leute wie Torsten Dörting machen ja genau das. Heutzutage ist eine Band wie Midnight Feuilleton-affiner als irgendwelche Neo-Grunge-Bands, die das noch vor zehn Jahren waren. Gerade unter Intellektuellen ist es derzeit in, sich mit Metal zu befassen, und zwar nicht mit Hair Metal und den Scorpions, sondern mit Solstafir oder noch düsteren Bands aus dem Extreme Metal.

Ich weiß nicht, ob ich das gut finden soll, da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Einerseits ist es glaubwürdig, denn es kommt zum Teil von Leuten, die Metal hören und konsumieren. (…) Doch dadurch wird auch der Underground ans Licht gezerrt und ich weiß, dass sich viele Leute darüber aufregen; gerade die Leute, die sich nur im Underground aufhalten. (…) Ich mache ja nicht von der Größe einer Band abhängig, ob ich sie gut finde oder nicht. Mir ist das wurscht, ob es sich um eine Eigenpressung oder um die neue Opeth handelt. Im Underground spielt so etwas allerdings eine Rolle und die Leute fangen dann an, zu rebellieren und müssen neue Extreme für sich ausloten. Und das ist ja heutzutage kaum noch möglich, denn ich weiß nicht, was man noch an neuen Extremen bringen kann. Alles an Menschenverachtung und aus dem sexuellen Bereich ist dagewesen, an Religion und Spiritualität ist auch alles durch den Kakao gezogen worden. Es fehlt nur noch Kinderpornographie, aber ich wüsste nicht, wie man das in Metal einbauen kann.

Jugendszenen.com

Du siehst also die Popularisierung des Metal mit einer gewissen Sympathie und ahnst, dass sie jedoch auch eine Gefahr darstellen kann?

Götz Kühnemund:

Ja, wobei ich finde, dass Bands, die etwas zu sagen haben, es auch verdienen, gehört zu werden. Daran ist nichts verkehrt und ich freue mich, wenn sie auch Gehör finden. Ich kann auch nicht sagen, dass ich mich ärgere, wenn es solche Auswüchse annimmt wie in Wacken oder beim Summer Breeze (Festival). Das berührt mich gar nicht, sondern ist eine Parallelwelt, in der ich nichts zu suchen habe. Ich war früher mal in dieser Welt zuhause, da war diese Welt aber auch noch viel kleiner, fand nicht überall im Fernsehen statt, und dieser Event-Charakter war einfach noch nicht da. Vor 15 Jahren ist noch jeder wegen den Bands nach Wacken gefahren. Egal ob das Bier teuer oder die Organisation scheiße war – du konntest auf jeden Fall mit deinem Nebenmann über die Band reden, die jetzt gleich spielt. Ich glaube, das ist heutzutage nicht mehr der Fall.

 Jugendszenen.com:

Entgegen allen Unkenrufen ist der Metal scheinbar nicht tot zu kriegen, und Musik wie Szene zeichnen sich durch eine Beständigkeit aus, die Außenstehende immer wieder verblüfft. Warum ist das Deiner Wahrnehmung nach so; und warum lohnt es sich, dem Metal die Treue zu halten?

Götz Kühnemund:

Die Musik ist einfach so intensiv, dass sie einfach abhängig macht. Das hätte ich dir als Sechzehnjähriger auch geantwortet, und schon damals hätte ich gesagt, dass ich durchdrehe, wenn ich eine Gitarre höre. Ich glaube, diesen intensiven Effekt hat die Musik auf viele Leute. Man kann das auch nicht einfach ablegen. Selbst Leute, die ein paar Jahre abdriften, weil sie Familien gründen oder sich beruflich entwickeln, kommen oft wieder. Häufig treffe ich Leute, die 35 oder 40 Jahre alt sind, deren Kinder in die Schule gehen und nicht mehr täglich betreut werden müssen, und die tauchen plötzlich wieder auf Konzerten auf, weil der Metal sie nicht loslässt. Du findest im Metal ja auch alles; also alles, was meine Welt ausmacht, finde ich in der Metal-Welt, von Freunden angefangen, zu allem, was mich geistig bewegt. Man trifft viele interessante Persönlichkeiten – warum sollte man da also aussteigen?

 Jugendszenen.com:

Weil es vielleicht nicht zur geforderten Flexibilität und Beweglichkeit unserer Zeit passt – während sich der Mensch heute schnell an alle möglichen Brüche und Veränderungen anpassen soll, zieht der Metaller sein Ding starrköpfig durch und interessiert sich allenfalls für die Weiterentwicklung des Metal.

Götz Kühnemund:

Aber gerade weil sich drumherum alles immer schneller dreht, brauchen die Leute etwas Konstantes; etwas, das nicht dem Zeitgeist geschuldet ist. Das ist ja nicht nur im Metal so. Dass sich Zeitschriften wie Landlust oder Landleben oder wie sie heißen, so toll verkaufen, ist ja auch eine Art Gegentrend. Die Leute wollen einfach auch mal aus dieser super-beschleunigten Gesellschaft aussteigen und feste und unverrückbare Werte. Mittelalter-Märkte zählen auch dazu. Es gibt viele Parallelwelten, in denen sich die Leute ganz bewusst ausklinken, wenn auch nur für ein paar Stunden. Bei Metal-Fans ist es so, dass sie häufig ihr ganzes Leben danach ausrichten und mit ein paar Stunden nicht zufrieden sind, sondern ihre ganze Freizeit darein stecken. Wahrscheinlich ist bei ihnen der Drang, sich auszuklinken, ein bisschen größer. Für mich ist es nur logisch, dass es einen Trend gegen das ganze oberflächliche Gedöns geben muss.

Jugendszenen.com:

Der Glaube an das Gute…

Götz Kühnemund:

Letzten Endes ja. Das klingt zwar kitschig, wenn man es so ausdrückt, aber eigentlich ist es so. Das ist es ja auch, was mich am Metal von Anfang an so fasziniert hat. Ich habe alle meine persönlichen Wertvorstellungen im Metal absolut abgedeckt. Ich bezeichne mich nicht im politischen Sinne als konservativ, doch vielleicht trifft es wertkonservativ ganz gut. Das besagt ja, dass bestimmte Werte, Freundschaft und tiefe Gefühle noch eine Rolle spielen. Das finde ich alles in der Musik und nirgendwo so gebündelt wie da. Und ich habe keinen einzigen Menschen in meinem Freundeskreis, der sagen würde „Musik ist mir egal“. Wahrscheinlich käme ich mit solchen Leuten auch nicht klar. Es muss nicht immer Metal sein, sondern ich habe auch einen Freund, der total fanatischer Klassik-Liebhaber ist und der empfindet Musik genauso intensiv wie ich das tue, und auf dem Level verstehen wir uns, natürlich auch über Musik hinaus.

 Jugendszenen.com:

In der gerade veröffentlichten ersten Ausgabe des „Deaf Forever“ Magazins besprichst Du u.a. das Buch „Black Metal – Evolution Of The Cult“ von Dayal Patterson kritisch wie wohlwollend, und Literatur über Metal erscheint mittlerweile in ganz unterschiedlichen Formaten. Wie stehst Du selbst den so genannten „Metal Studies“ gegenüber, die vor allem durch akademische Metal-Fans vorangetrieben werden? Glaubst Du, dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Metal der Szene konstruktive Impulse geben kann oder kann Metal auch totgeredet werden?

Götz Kühnemund:

Totgeredet würde ich nicht sagen, denn es sind ja ziemlich kleine Bereiche, in denen das passiert. Manuel Trummers Buch „Sympathy For The Devil“ findet keinen reißenden Absatz, sondern davon werden einige hundert an einen ganz bestimmten Interessentenkreis verkauft, der sich mit dem Thema sehr intensiv auseinandersetzt. Warum sollte solche Literatur nicht innerhalb der Metal-Szene entstehen? Ich finde das völlig okay. (…) Dayal Pattersons Buch über Black Metal ist das bislang umfassendste aus dem Bereich, das ich kenne, allerdings gibt es darin nicht einen Hauch von Zensur. Das kann man gut finden, muss man aber nicht – das hängt ab, von welcher Seite man darauf guckt.

Jugendszenen.com:

In ihrer jüngst erschienenen Studie „Schwarzmetall und Todesblei“ formuliert die Musikwissenschaftlerin Sarah Chaker, dass beide Musikszenen ein Nachwuchs-Problem haben. Erlebst Du das ähnlich?

Götz Kühnemund:

Nö, gar nicht, ich hätte genau das Gegenteil gesagt. Wenn ich mir allein die Besetzung bei unserem Heft angucke, dann ist der jüngste von uns 25 Jahre alt, und der ist mit Black und Death Metal groß geworden. Er spielt in zwei Bands und ich treffe häufig auch Freunde von ihm, von denen die meisten auch Black und Death Metal hören. Im Black Metal gibt es immer noch die interessantesten Strömungen, und auch im Death Metal gibt es eine neue Welle an Bands, z.B. diejenigen, die über F.D.A. Rekotz veröffentlicht werden, und bei denen es sich um starke Nachwuchs-Bands im klassischen Death Metal handelt. Da gibt es viele gute Sachen, die im Kommen sind und auf die auch junge Leute stehen.

Jugendszenen.com:

Mir ist aufgefallen, dass Du sowohl im „Rock Hard“ als auch in der Startausgabe vom „Deaf Forever“ sinngemäß geschrieben hast, dass der heutige Black Metal die alten Heavy-Metal-Qualitäten verkörpert. Heißt das etwa, dass der Black Metal die Jugendlichkeit des Metal bewahrt?

Götz Kühnemund:

Definitiv. Mich hat die Auseinandersetzung im Kopf verjüngt. Eine Band wie The Devil’s Blood zu entdecken, hat in mir dieselben Gefühle ausgelöst wie damals die Entdeckung von Maiden. Entdeckt habe ich den Black Metal mit den schwedischen Naglfar, die auf ihrem Album „Vittra“ alte Maiden-Melodien quasi angeschwärzt haben. Das, was ich an Maiden liebte, habe ich also bei Naglfar wiederentdeckt und dann auch herausgefunden, dass sie Musiker sich etwas eigen geben, um ihre eigene abgeschlossene Szene zu bewahren – und das war ja nichts anderes, als was wir früher auch gemacht hatten. Wir sind ja auch mit Kutte und Patronengurt rumgelaufen, um uns abzugrenzen. Wir wollten ja nicht, dass jeder Zugang zu unserer Parallelwelt hat. (…) Damals habe ich jeden Pfennig und jede Minute dafür geopfert, um irgendwie Teil davon zu sein. Ich wäre wahrscheinlich auch auf dem Hallenboden herumgekrochen und hätte den aufgewischt, wenn ich einfach nur hätte dabei sein dürfen. Das war das einzige, was zählte. In der Black-Metal-Szene erlebe ich diese Begeisterung genauso: Du kannst dich stundenlang mit den Leuten unterhalten und sie brennen vor Begeisterung für ihre Sachen. Sie sind ein bisschen fanatisch, was ich wiederum sympathisch finde, denn ich habe Schwierigkeiten mit Leuten, die beliebig sind.

Jugendszenen.com:

Wie nimmst Du als Metal-Fan, der dafür bekannt ist, seine mitunter streitbare Meinung klar zu äußern, die metallische Jugend wahr – was gefällt Dir an ihr, und was vermisst Du?

Götz Kühnemund:

Der Unterschied zu früher besteht in der schnelleren Verfügbarkeit der Sachen durchs Internet. Das hat sowohl Vor- als auch Nachteile. Damals war es eben sehr spannend, auf den Briefträger zu warten und zu schauen, was für Päckchen er bringt. Du warst gezwungen, zu überlegen, wo du eine Platte bestellen kannst. Bei manchen Platten musstest du vorher zehn Leute fragen, wo du sie bekommen konntest, oder du musstest ins Ausland zu irgendwelchen Plattenlädn fahren, um an die aus England importierte Single zu kommen. (…) Heute ist es durch das Internet natürlich viel einfacher geworden, Sachen kennenzulernen und selbst die obskursten Sachen zu finden. Es ist dann eine Frage des Geldes geworden, denn du kannst jede Rarität kaufen, wenn du nur genug Geld in der Tasche hast. Das entwertet manche Dinge natürlich etwas, andererseits hätten wir damals dieses Instrument auch z.B. um Tausch mit Tape-Tradern vom anderen Ende der Welt genutzt, wenn es das Internet damals schon gegeben hätte. Vielleicht ist die Begeisterung und die Freude beim Kauf immer noch ähnlich groß wie früher, aber ansonsten sind die Sachen heute kurzlebiger geworden. Was heute noch spannend ist, darüber redet man in drei Monaten nicht mehr. (…)

Jugendszenen.com:

Vor 20 Jahren hat mich „Tales From The Thousand Lakes“ von Amorphis über Monate hinweg getragen und so fasziniert, dass ich sogar das Plattencover abgemalt habe.

Götz Kühnemund:

Das habe ich bei den Maiden-Covern auch gemacht. (…) Das haben die Kids von heute wahrscheinlich nicht mehr, aber sie können ja nichts dafür. Man kann es den Leuten ja nicht zum Vorwurf machen, dass die Szene etwas oberflächlicher funktioniert als früher, weil die Zeiten nun mal andere sind. Es ist umso cooler, dass es immer noch Sachen gibt, die intensiv sind und tiefer gehen. Und es gibt ja auch genügend Leute, die unter sich bleiben und nicht alles mitmachen.

Jugendszenen.com:

Abstecher Metal und Mythen: Amon Amarth steigen mittlerweile regelmäßig ganz hoch in die Charts ein und verleihen den nordischen Göttern eine gewisse Popularität und auch einer Band wie Amorphis könnnte man vorwerfen, dass sie im Grunde seit 20 Jahren kaum was Neues macht, außer sich in Mythen zu vertiefen – warum funktioniert das im Metal so gut?

 Götz Kühnemund:

Ganz einfach, weil es auch eine dieser Parallelwelten ist, und zwar eine, zu der man relativ einfach Zugang hat. Der Erfolg von Amon Amarth hat auch etwas mit ihrer Wikinger-Ästhetik zu tun, die man wiederum auf den Mittelalter-Märkten findet. Dahinter steht der Wunsch der Leute, dass wieder alles so einfach und klar wird wie im Mittelalter, wo es ganz klare Prioritäten gab: Es galt, das tägliche Leben zu meistern, und alles andere rückte in den Hintergrund. Nach so einer Klarheit, die es heute nicht mehr in der Form gibt, sehnen sich viele Leute. Damals gab es sie wahrscheinlich auch nicht, aber man romantisiert das, dass es so gewesen sein könnte. Dazu passen diese Götter (…) ganz gut. Die heidnischen Gottheiten stehen ja jeder für ein Prinzip oder einen bestimmten Wert, deshalb gibt es ja auch mehrere, und die Werte bündeln (…). Das ist attraktiv für die Leute. Dazu kommt ein eingängiger Sound und eine gute Präsentation: Amon Amarth sehen alle aus, wie aus einem Ei geschlüpft, und wenn die zu fünft Propeller-bangen, dann sagt jedes Mädel „Mein Gott, sehen die geil aus“. In (den Sänger) Johan Hegg ist jedes zweite Metal-Mädchen verliebt, zumindest aus meinem Bekanntenkreis, weil er eben das brachial Männliche verkörpert und trotzdem sympathisch ist. Die Typen wollen mit so jemandem am Tresen trinken und die Mädels wollen so jemand als Freund haben.

Jugendszenen.com:

Welche Impulse kann die Beschäftigung mit Metal jungen Menschen heutzutage bestenfalls geben?

Götz Kühnemund:

Metal kann vermitteln, dass man eine eigene Meinung vertreten kann, und dass man nicht im Zeitgeist mit schwimmen muss, um cool zu sein. Wenn ich mich in die Rolle eines Zwölf- oder Dreizehnjährigen hineinversetze, der sich Lemmy anschaut, dann kann er lernen, dass man ein Leben lang sein eigenes Ding durchziehen, dabei glücklich sein und respektiert werden kann. Wenn dieser junge Mensch zu einem Konzert geht, wird er merken, dass da irgendein Zusammengehörigkeitsgefühl in der Luft liegt, das anders ist als beim Schützenfest. Wenn er ein halbes Jahr dabei bleibt, wird er Freunde gefunden haben, mit denen er alle Probleme dieser Welt wälzen kann; zumindest war das bei mir so. Und dann steckt er im Metal drin und kommt nicht mehr raus! (lacht) Bei uns war es früher so: Wenn man auf der anderen Straßenseite jemanden in einer Kutte gesehen hat, dann ist man sofort total nervös hin gelaufen und hat sich die Adresse dieser Person aufgeschrieben hat. Heute gibt es viel mehr Leute, die in Metal-Shirts durch die Fußgängerzone laufen, und da ist das etwas anders. (…)

Metal ist in jedem Fall eine Basis, um mit Leuten in Kontakt zu treten. Und auch wenn man sich mit Musik gut alleine beschäftigen kann, dienen z.B. Konzerte dazu, um unter Gleichgesinnten zu sein. Das hinterlässt genauso Spuren, wie wenn du ein kleines Kind zum ersten Mal mit ins Fußballstadion nimmst und es hört dort 50.000 Leute brüllen. Man ist dann erschlagen von dieser Atmosphäre und man merkt dann, dass man aus irgendwelchen Gründen dazu gehören will.

Jugendszenen.com:

Im vergangenen Jahrzehnt haben sich Festivals um eine Szene etabliert, die Rock- und Metal-Musik zurück an ihre Ursprünge in den Sechzigern und Siebzigern führt und die von Alt-Hippies ebenso gefeiert wird wie von Teenagern, bei denen die Metal-Kutte ihr x-tes Revival erlebt. Eine Band wie die Blues Pills erregt nicht nur mit ihrer Musik, sondern vor allem wegen ihrer jungen Alters Aufsehen, da sie, ähnlich wie z.B. die deutschen Zodiac, die Musik ihrer Eltern-Generation spielen – was geht da Deinem Eindruck nach vor sich?

Götz Kühnemund:

Das beweist, dass die Musik mehr ist als nur Musik. Auch heute noch rebellieren Kids in der Pubertät gegen ihre Eltern, doch findet das nicht unbedingt über die Musik statt, da Rock-Musik tiefer geht und nicht so oberflächlich ist wie Mode und Klamotten. Wenn sich Mädchen heute bis über die Ohren tätowieren und piercen lassen, dann ist das sicher auch Ausdruck einer Abgrenzung gegenüber den Eltern. (…)

Die Blues Pills sind ein Beispiel für eine Band, die im Grunde Musik für Led-Zeppelin-Fans macht. Ähnlich wie bei Amon Amarth gilt auch hier, dass man diese Band nicht besser hätte casten können. Leute, die keinen Bock auf die ganze Schnelllebigkeit haben und etwas suchen, das mehr Bestand hat, die sehen vielleicht ein Photo von Jimmy Page oder Robert Plant und denken sich „hey, die sehen ja heute noch cool aus“, und dann kommt eine Band um die Ecke gebogen, deren Mitglieder die Enkel von ihnen sein könnten – da passt einfach alles zusammen und für mich ist es logisch, dass so etwas Erfolgt hat. (…)

Jugendszenen.com:

Klangliche Extreme sind weithin ausgereizt, Leichenfledderei oder sexuelle Gewalt sind im Death Metal und Grindcore ähnlich alte Hüte wie rechte Ideologie und Menschenhass im Black Metal. Wo findet wohl die nächste Grenzverschiebung statt und wie paradox erlebst Du den Umgang mit schwierigen Themen im Metal?

Götz Kühnemund:

Ich denke, es liegt vor allem daran, wie ernst die Sachen genommen werden. Sobald es um Patriotismus und Nationalismus geht, ist es wahrscheinlich, dass es sich um eine ernst Angelegenheit handelt. (…) Demgegenüber halten sich die ganzen Porn-Grinder ja für witzig. Das Publikum auf solchen Konzerten läuft entweder abstrus verkleidet oder sogar nackt vor der Bühne herum und die Leute wollen einfach mit allem, was sie haben, provozieren. Da geht es nur um die reine Provokation und meiner Wahrnehmung nach wäre keiner der Leute, der auf der Bühne steht, fähig, seiner Freundin eine Backpfeife zu geben. Vielleicht bin ich da zu gutgläubig. (…)

Wenn hingegen jemand auf der Bühne bestimmte Fahnen schwenkt, dann kann es sich schon lohnen, näher hinzuschauen. David Vincent von Morbid Angel fing damals auch mit ein paar provokanten Statements an und war plötzlich mit jemandem vom Klu-Klux-Klan befreundet. Ich glaube allerdings, dass die Leute in der Szene merken, ob ihnen unterschwellig Botschaften vermittelt werden sollen oder ob es sich nur um Blödsinn handelt. Wenn man sich in der Szene herumtreibt, dann hat man ein Gefühl dafür, wo es anfängt, brenzlig zu werden.

Jugendszenen.com:

Während in Norwegen Extreme-Metal-Musikern wie Enslaved in der Öffentlichkeit mit Respekt für ihr bisheriges künstlerisches Werk begegnet wird, scheint so etwas in Deutschland schwer vorstellbar. Vermisst Du Auszeichnungen für Metal-Bands durch Kulturminister oder Auftritte im Frühstückfernsehen?

Götz Kühnemund:

Ich vermisse das auf keinen Fall, würde aber auch keine Band entwertet sehen, wenn das passieren würde. Die Skandinavier machen das, weil die in der Vergangenheit neben Abba und A-ha nicht so viele weltweit erfolgreiche Bands hatten, während der Black Metal Skandinavien weltweit bekannt gemacht hat. Darauf sind sie stolz. (…) Dazu kommt, dass es im Black Metal sehr interessante Leute gibt und wahrscheinlich jeder Kulturminister begeistert wäre, wenn er mit jemandem wie Ivar (Bjørnson) von Enslaved reden könnte. Bei uns in Deutschland sind es eher Bands wie die Scorpions oder Rammstein gewesen, die weltweit Aufmerksamkeit erregt haben, und die Scorpions haben ja wirklich alles gemacht: Die haben ja sogar schon in Schlager-Sendungen gespielt. Auch im deutschen Black-Metal-Underground gibt es Leute, die ähnlich interessant sind wie Enslaved, aber vielleicht ist es da einfach noch nicht an der Zeit, dass sie im Mainstream ankommen. Alex Meilenwald von The Ruins Of Beverast kann ich mir nicht in einer Talkshow vorstellen, obwohl er sicher was Interessantes zu sagen hat. Aber wer weiß – vielleicht passiert es in zehn Jahren ja doch.

Jugendszenen.com:

Manuel Trummer, Sänger von Atlantean Kodex, Kulturwissenschaftler und Metal-Journalist, hat Kritik an der gegenwärtigen Konsum-Kultur im Metal geübt und wahrlich gibt es eine Menge diskutabler Editionen. Die so genannte „Sammel-Leidenschaft“ nehme ich als Argument der Musik-Industrie wahr, sich neben der Musik auch noch mit allerhand Gimmicks einzudecken, die kein Fan wirklich braucht. Siehst Du da die Gefahr, dass wir Metal-Fans zu sehr verwöhnt werden und irgendwann eine Klassenkultur entsteht, in der wir uns nur noch durch Besitz anstelle von Aktivität auszeichnen?

Götz Kühnemund:

Alles, wozu eine Nachfrage besteht, wird natürlich auch hergestellt, das ist klar. Und es gibt Leute, die solche Sammler-Editionen offensichtlich haben wollen. Mir ist es jedoch noch nicht untergekommen, dass es da Klassenkämpfe geben würde, oder dass sich Leute darüber aufregen, dass es so ist. Ich kenne jedoch genug Leute, die schwarzes Vinyl vor farbigem Vinyl bevorzugen und die Klappcover nicht mögen, weil sie in der Sammlung Platz wegnehmen. Andererseits, wenn Veröffentlichungen so schön gemacht sind wie z.B. die auf 500 Stück limitierte, sehr aufwändige LP von The Devil’s Blood auf Ván Records, bei der auch klar ist, dass damit kein Geld gemacht wird – die wird von 500 Leuten gekauft und dann sind die Unkosten drin. Das finde ich okay, den Leuten anzubieten. Es ist jedoch albern, wenn die neue Amon Amarth mit einer Plastikfigur angeboten wird. Es liegt natürlich im Auge des Betrachters, was albern ist, und das muss jeder für sich selbst entscheiden. (…)

Jugendszenen.com:

Ist metallischer Nachwuchs auch deshalb so wichtig, weil Deine und meine Generationen irgendwann im Altenheim anlangen wird und wir einfach wieder Zivis brauchen, die uns dann auf die entsprechenden Konzerte schieben werden?

Götz Kühnemund:

Das wird wahrscheinlich so kommen, haha! Irgendwann wird es viele Rock-Fans geben, die über 70 sind, und die auch ihren Spaß haben wollen. Irgendwo müssen die sich treffen können, um gemeinsam etwas zu machen.

Jugendszenen.com:

Bleibt der Metal jugendlich oder vergreist er?

Götz Kühnemund:

Für mich vergreist er kein bisschen, sondern für mich stellt sich das alles ganz zeitlos dar. Ich habe mich früher nicht wie 16 gefühlt, als ich in die Szene kam, und ich fühle mich jetzt nicht wie 48, sondern ich erlebe mich einfach nur als Teil von der ganzen Sache. Wenn ich mich mit einer Band wie In Solitude hinsetze, dann habe ich überhaupt nicht das Gefühl, dass da ein Generationen-Unterschied ist, obwohl die Jungs Anfang 20 sind und meine Söhne sein könnten. Mit denen rede ich genauso wie mit Mille von Kreator, der meine Generation ist. Ich glaube, das spielt keine Rolle. Es gibt junge Bands, diese ziehen wiederum junge Fans an, und manche dieser Bands spielen im Grunde alte Musik. Es gibt auch alte Bands, die mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg versuchen, junge Musik zu spielen. Ich würde nicht sagen, dass da Alter eine große Rolle spielt, und das ist ja auch das Geile an der Rock-Szene, dass es um ein bisschen mehr geht als nur um Jugendkultur. Es geht um mehr, als deine Pubertät oder deine Aggressionen auszuleben, oder irgendjemanden zu vögeln. Das könntest du in jeder anderen Jugendkultur auch haben, denn es ist Teil vom Hiphop und was-weiß-ich für einer Szene, doch beim Rock gibt es mehr Tiefgang.

Jugendszenen.com:

Götz, danke, dass Du Dir die Zeit für dieses Gespräch genommen hast!

Götz Kühnemund:

Gerne, das hat doch Spaß gemacht.