Szeneprofil: Rollenspieler
Intro
Rollenspiel ist eine Mischung aus improvisiertem Theater, Brettspiel und Geschichtenerzählen, das im gemeinsamen Erzählen am Tisch geschieht. Eine Gruppe von Spielern übernimmt die Rollen von Figuren (‘Charaktere’) in einer fiktiven Welt – beispielsweise Ritter an König Arthurs Tafelrunde. Ein Spielleiter entwirft für die gemeinsame Spielrunde ein loses Szenario aus Schauplätzen, Personen und möglichen Ereignissen, die den Spielerfiguren begegnen können. Er beschreibt den Spielern ihre Situation, die anschließend die Handlungen ihrer Figuren schildern, worauf der Spielleiter wiederum die Reaktionen der Umgebung schildert. Aus der Interaktion entsteht so schrittweise eine Handlung. (Spielleiter: ‘Wie ihr euch erinnert, reitet ihr auf der Suche nach dem Gral durch den Sherwood Forest. Plötzlich kommt aus einer Lichtung ein offenbar verwirrtes Kind auf euch zu, das um Hilfe schreit. Was tut ihr?’ Spieler: ‘Ich reite rasch in die Lichtung, aus der das Kind kommt.’ Spielleiter: ‘Dort siehst du…’)
Um den Ausgang unsicherer Handlungen zu entscheiden, gibt es Spielregeln. Die Charaktere bekommen in der Regel Zahlenwerte für Eigenschaften wie Stärke oder Klugheit zugewiesen, die der Spieler mit einem Würfel unterwürfeln muss, damit die geplante Handlung seines Charakters gelingt. Rollenspielverlage bieten hunderte Regelsysteme und fiktive Hintergrundwelten an, die in weiteren Publikationen detailliert ausgestaltet werden. Solche Welten sind meist im Fantasy-, Science-Fiction- oder Horror-Genre angesiedelt, wie sich auch die Rollenspiel-Szene aus Liebhabern dieser Genres zusammensetzt.
Neben dem ‘normalen’ Rollenspiel – auch pen-and-paper- oder Tischrollenspiel genannt, weil es mit Stift, Papier und Würfeln am Tisch gespielt wird – existieren zahlreiche weitere Formen: Karten- und Brett-Rollenspiele, Spielbücher, Spielrunden, die über Briefe, E-Mail oder Online-Chat geführt werden, sowie das Liverollenspiel mit einer relativ eigenständigen Szene. Beim Liverollenspiel treffen sich Spieler in Kostümierung (‘Gewandung’) auf dem Gelände einer Burg, einem Zeltplatz oder an einem anderen Ort, um für mehrere Tage das Leben in einer fiktiven Welt live auszuspielen.
In der breiten Öffentlichkeit sind Rollenspiele eher als ein Genre von Computerspielen bekannt. Doch obwohl die Computer-Rollenspiele historisch aus dem Tischrollenspiel hervorgingen und bei Rollenspielern durchaus beliebt sind, werden erst die in den letzten Jahren Online-Rollenspiele wie z. B. ‘World of Warcraft’ in der Szene als ‘echtes’ Rollenspiel anerkannt.
History
Rollenspieler schildern die Geschichte ihres ‘Hobbys’ gewöhnlich entlang der Veröffentlichung der einzelnen Spielsysteme. Die Wurzeln des Rollenspiels liegen in den Tabletops – Kriegsspiele, bei denen man mit Miniaturen auf Modell-Landschaften Schlachten nachspielt -, so wie J.R.R. Tolkiens Roman ‘Der Herr der Ringe’, der das Fantasygenre begründete. Aus Tabletop und Fantasy schufen die US-Amerikaner Dave Arneson und Gary Gygax 1974 das erste Rollenspiel ‘Dungeons & Dragons’ (D&D). Darin nahmen die Spieler die Rollen von Elfen, Kriegern oder Magiern ein, die sich durch Burgverliese voller Monster und Fallen kämpften, um Schätze anzuhäufen und Kampferfahrung zu sammeln. Rasch folgten weitere Spiele mit verbesserten Regeln und anderen Hintergründen.
Den nächsten bedeutenden Schritt markierte 1981 ‘Call of Cthulhu’, das auf den Kurzgeschichten des Horrorautors H. P. Lovecraft beruht. Zuvor bestanden Rollenspiele hauptsächlich aus dem taktischen Besiegen von Gegnern und dem Lösen von Problemstellungen. Mit ‘Call of Cthulhu’ trat die Spieltechnik erstmals hinter das Erzeugen von Atmosphäre, das Erzählen einer Geschichte und das Ausspielen von Rollen zurück. Dieser Gegensatz von regel- und kampflastigem ‘Roll-play’ (viele Würfel rollen) und eher erzähllastigem ‘Role-play’ (eine Rolle spielen) dient noch heute zur Einordnung der verschiedenen Systeme und Spielstile.
1981 erschien auch das erste deutsche Rollenspiel ‘Midgard’ von Jürgen E. Franke. Doch erst ‘Das Schwarze Auge’ (DSA) von Ulrich Kiesow, im Jahr 1984 mit großem Werbeaufwand von Schmidt-Spiele und Droemer Knaur auf den Markt gebracht, machte Rollenspiel in Deutschland populär. Wie ‘D&D’ in den USA, ist ‘DSA’ das größte Fantasy-Rollenspiel in Deutschland, prägt als solches bis heute die deutsche Szene und war für die meisten Spieler der Einstieg in die Rollenspieler-Szene.
Die 1990er Jahre, die als Blütezeit der deutschen Szene gelten, brachten dreierlei: Erstens eine Professionalisierung und Digitalisierung. Zweitens eine ‘dunkle Welle’, d. h. Spielen mit düsteren, unheimlichen Themen und Ästhetiken. Schließlich stellte der Erfolg des ersten Sammelkartenspiels ‘Magic: The Gathering’ (1993) die Szene auf den Kopf und leitete das Ende der Blütezeit ein. Die meisten Rollenspieler steckten den Großteil ihrer Zeit und Finanzen in das neue Spiel; jeder Rollenspielverlag versuchte mit eigenen Sammelkartenspielen seinen Gewinn zu steigern, Publikation und Verkauf von Rollenspielmaterial gingen drastisch zurück, und mit dem Einbruch der ersten Euphorie mussten viele Verlage Konkurs anmelden. Seit 1994 schloss gut die Hälfte aller Rollenspielläden in Deutschland, da nun Sammelkarten und Computer den Nachwuchs auf sich zogen. Unter Tischrollenspielern ist daher die Stimmung seit Ende der 1990er gedämpft, während Live- und Computerrollenspiele weiterhin Erfolge verzeichnen.
Eine gewisse Linderung brachte das im Jahr 2000 vom Magic-Verlag ‘Wizards of the Coast’ herausgegebene universale ‘d20-System’, das auf dem klassischen ‘D&D’ beruht und von allen Verlagen kostenfrei für eigene Publikationen verwendet werden kann. Als Esperanto bzw. Open Source unter den Regelwerken hat es die Stellung von ‘Wizards’ und ‘D&D’ weiter gestärkt, aber auch kleineren Verlagen die Chance gegeben, mit ihren Hintergründen und Szenarien den breiten Rollenspielmarkt anzusprechen.
Literatur
Strukturen
Die Szene unterteilt sich vor allem nach den Rollenspielsystemen, wobei die meisten Spielrunden mehr als ein System beinhalten. Untereinander pflegen die Fans der verschiedenen Systeme humorvolles ‘bashing’ der jeweils anderen; das populärste System ‘DSA’ ist zugleich das am meisten gehasste. Als Ursprung mit der größten Verbreitung bildet Fantasy den gemeinsamen Hintergrund der Szene – jeder Rollenspieler hat schon einmal ein Fantasy-System gespielt. Die World of Darkness-Spiele – mit dem Fokus auf Vampire – formen eine relativ geschlossene Gruppe mit starker Affinität zur Gothic-Szene.
Eine zweite, wichtige Dimension ist das Engagement. Um einen Kern von Aktiven, die meistens als Spielleiter agieren, viel Zeit und Geld investieren und der Szene über lange Jahre treu bleiben, lagert sich ein breiter Rand von eher gelegentlichen Spielern, die meist von den Aktiven zum Rollenspiel animiert wurden.
Dazu tritt eine dritte, ‘vertikale’ Differenzierung das Alter bzw. die Dauer der Szenezugehörigkeit betreffend, welcher eine gewisse Professionalität, Reife und auch bestimmte Spielsysteme zugeordnet wird. Am unteren Ende des Spektrums stehen junge Anfänger, die mit populären Rollenspielen wie ‘DSA’, ‘AD&D’ oder ‘Shadowrun’ einsteigen, ‘hack and slay’ bevorzugen, gekaufte Szenarien spielen und gern übermächtige Figuren verkörpern – dieses Verhalten wird allgemein als ‘Powergaming’ bezeichnet (und verpönt). Am oberen Ende stehen die ‘alten Hasen’, die sich schon an allen Spielen und Spielvarianten versucht haben, eher alteingesessene oder ausgefallene Systeme und Hintergründe bevorzugen, vieles selber schreiben und Wert auf ‘gutes Rollenspiel’, Atmosphäre und interessante Charaktere legen. Da die Grenze zwischen Fandom und Verlagen nach wie vor fließend ist, haben viele vermutlich schon eigene Publikationen geschrieben.
Fakten
Die deutsche Szene umfasst etwa 500.000 aktive Spieler, wobei die Zahlen je nach Schätzung zwischen 150.000 und 650.000 schwanken. Demografisch sind Rollenspieler eine ausgesprochen homogene Gruppe: Zwar reicht das Altersspektrum von 9 bis 50 Jahren, doch gute 95 Prozent der Spieler sind zwischen 15 und 35 Jahren alt. Das Einstiegsalter liegt bei 14 Jahren und das Durchschnittsalter beträgt 26 Jahre. Gut 80 Prozent aller Spieler sind Gymnasiasten oder Studenten. Die Szene ist eindeutig männlich dominiert (80 bis 90 Prozent). Alter und Geschlechterverhältnis variieren jedoch je nach Spielsystem leicht.
Relations
Die Rollenspielszene ist der Schmelztiegel medialer Fankulturen. Star Trek, Star Wars, Comics, Computerspiele, Der Herr der Ringe – wo immer sich eine Fangemeinde um Medien mit einer im weitesten Sinne phantastischen Gegenwelt ausbildet, kommen deren Vertreter über kurz oder lang mit Rollenspiel in Kontakt. Es bestehen enge Verbindungen zur LAN-Szene, Fantasy- und Mittelalterszene, zur Comic- und zur Anime/Manga-Szene sowie zu Trading Card- und Tabletopspielern.
Das Verhältnis von Rollenspieler- und Gothic-Szene verdient besondere Aufmerksamkeit, zumal einige Rollenspieler zugleich Goths sind. Und auf den ersten Blick überwiegen die Gemeinsamkeiten: Beide Szenen richten ihr Leben hedonistisch-ästhetisch auf intensives Erleben aus, teilen ein romantisch-künstlerisches Selbstbild und eine nostalgisch-antimoderne Grundhaltung. Doch während Rollenspieler das Erlebnis von Gegenwelten strikt auf Spiele und Medien in der Freizeit beschränken, ästhetisieren Goths ihre ganze Lebenswelt – einschließlich Wohnung, Kleidung und eigener Person. Auch betonen Rollenspieler den (Spiel-)Spaß stärker und teilen oft den Nihilismus der Goths nicht – gleichwohl sie die düstere Ästhetik ‘typischer’ Filme, Romane, Comics, auch Musik der Gothic-Szene durchaus genießen.
Fokus
Im Mittelpunkt der Szene steht naturgemäß das Rollenspielen selbst, um das sich eine Reihe von weiteren Szene-Aktivitäten dreht: Mindestens genau so wichtig wie das Spielen ist das Reden über das Spielen. Rollenspieler diskutieren eifrig über Spielregeln und die Vorteile und Schwächen der einzelnen Systeme. Ebenso gern erzählen sie spektakuläre, komische und besonders gelungene Szenen oder Dialoge aus Spielrunden nach. Dieses Nacherzählen eindrücklicher Situationen erstreckt sich auch auf phantastische Bücher, Comics, Filme, TV-Serien und Computerspiele. Denn neben dem Spielen und Diskutieren steht als dritte wichtige Aktivität die umfängliche Medienrezeption und -diskussion. Zudem haben viele Rollenspieler das Bedürfnis, selbst etwas zu kreieren. So schreiben sie eigene Szenarien und Kurzgeschichten, arbeiten Aktenordner voller Regelsysteme, Hintergrundwelten, Charaktere und Regelergänzungen aus, malen Porträts ihrer Spielfiguren, erstellen Stadtpläne, Landkarten oder künstlich gealterte fiktive Briefe und Bücher.
All diese Tätigkeiten dienen letztlich dazu, sich intensivere Erlebnisse zu verschaffen, als der eigene Alltag sie bereithält. Das beinhaltet zum einen den schlichten Spaß am Spiel, zum anderen das Eintauchen in eine wiederverzauberte, exotische Gegenwelt, wie es grundsätzlich bei jedem fiktionalen Medium geschieht – nur dass das gemeinsame Erleben, die ‘Tiefe’ der Fiktion (ihr Umfang und ihre Detailliertheit) und die Möglichkeit, selber eine Rolle in der Fiktion einzunehmen und dadurch mit der Fiktion zu interagieren, die Intensität der Erfahrung steigern.
Geselligkeit, Gemeinschaft und kreative Selbstverwirklichung sind weitere Motive für das Rollenspielen. In der Szene kommt es immer wieder zu latenten Konflikten zwischen dem hedonistischen ‘Einfach-nur-Spielen-und-Spaßhaben-Wollen’ und der eher hochkulturellen ‘künstlerischen Selbstverwirklichung’ durch das Medium Rollenspiel.
Das letzte wichtige Motiv ist die Erfahrung eigener Kompetenz: Im Gegensatz zum Alltag lässt sich die Spielwelt beherrschen – ihre Regeln sind erkennbar und erlernbar. Mit der Zeit kann man sich zu einem anerkannten Profi in Sachen Rollenspiel entwickeln, der kompetent mit anderen fachsimpelt. Wie bei jedem ‘Hobby’ werden nicht wenige Rollenspieler darüber zum Nerd oder Otaku: Sie versuchen, einen kleinen Weltausschnitt (hier ein Rollenspielsystem und seine Hintergrundwelt) vollständig zu überschauen und zu beherrschen, indem sie alle Gegenstände und Informationen dazu zusammentragen, ordnen und inventarisieren.
Einstellung
Wie in der Gothic-Szene existiert bei Rollenspielern ein starker Hang zu Romantik und Ästhetizismus. Der Alltag in der entzauberten Moderne, wo alles auf Rationalität, ökonomische Effizienz und Funktionalität zugeschnitten ist, erscheint ihnen öde. Deshalb errichten und genießen Rollenspieler eine ästhetische Gegenwelt aus Medienangeboten, sei es in Gestalt einer idealisierten, vormodern-mittelalterlichen Vergangenheit voller Wunder, sei es durch die Übersteigerung der modernen Lebenswelt im Cyberpunk oder Gothic Punk, wo diese wieder eine eigene Exotik und cool-düstere Ästhetik gewinnt.
Stark verallgemeinert ausgedrückt, begreifen sich Rollenspieler als romantische Träumer in einer tristen Welt voller ‘stumpfer’ Menschen. Dem entspricht die Betonung der eigenen Individualität, die sich vor allem in Kreativität und einer unverdorbenen Kindlichkeit ausdrückt – sowie in einer gewissen Affinität zu esoterischen Themen (Tarot, Magie, Keltentum). Entgegen einiger Vorwürfe aus Medien und kirchlichen Einrichtungen haben Rollenspiel und Satanismus per se nichts miteinander zu tun.
Das Gegenstück zum Pathos der Gegenwelt bildet eine hohe ironische Medienkompetenz. Rollenspieler sind sich der Irrealität der Medien überaus bewusst und sezieren in Diskussionen gern die Stereotypen, Klischees und Inkonsistenzen jener Filme, Bücher und Spiele, in die sie zugleich eintauchen. Dieses distanzierte Bewusstsein, mit dem Rollenspieler auch Splatter-, Horrorfilme und andere Gewaltdarstellungen spöttisch goutieren, wird von außen oft als Zynismus oder Abstumpfung interpretiert.
Die zentralen Werte der Szene sind Erlebnis, Kreativität, Humor, Kommunikation und Toleranz. Spiel soll Spaß machen und aufregend sein, und wer spielt, nimmt sich selbst nicht ernst. Ironie und Selbstironie sprechen aus fast jedem Satz von Rollenspielern, aus Webforen voller ‘Gamer-Humor’ und beliebten satirischen Szene-Comics wie Dork Tower oder Knights of the Dinner Table. Rollenspieler betonen stets, wie kommunikativ und kreativ Rollenspiel im Gegensatz zu anderen Medien sei: Während man vor dem Fernseher einsam konsumiere, erschaffe man im Rollenspiel gemeinsam etwas Neues. Diese Kreativität hebe die Rollenspieler (durchaus elitär und intellektuell) von der breiten Masse ab. Der vierte Wert – Toleranz – besagt einerseits, niemanden bloß nach seinem Äußeren zu beurteilen, andererseits, nicht auf Außenseiter herabzublicken. Im Rollenspiel könne man die Sichtweise anderer Menschen erfahren, was Verständnis für andere Kulturen wecke (dies ist freilich die Außendarstellung von professionellen Repräsentanten, die nicht unbedingt von allen Szenegängern so geteilt wird).
Lifestyle
Ausdrückliche Vorgaben oder Ideale für die eigene Lebensführung gibt es in der Szene nicht. Der Großteil an Zeit und Geld fließt wie selbstverständlich in Mediennutzung und das Spielen – und die anderen Rollenspieler bestätigen einem durch ihr eigenes, ähnliches Verhalten, dass dieser Lebensstil so ‘völlig in Ordnung’ sei.
Da junge Rollenspieler eher wenig mobil sind, bleiben ihre Treffen an eine Stadt gebunden. Zumeist beschränken sie sich auf den eigenen Freundeskreis oder aber es entstehen neue Freundeskreise aus lokalen Spielrunden, die über Internetforen oder Aushänge in Spielläden, Schulen und Hochschulen zustande kommen. Mit dem Alter wachsen die finanziellen Ressourcen und die Mobilität. Das Rollenspiel muss sich Zeit und Geld mit anderen Tätigkeiten teilen und steht somit nicht mehr im Vordergrund, hat sich dafür aber oft in einer bewährten Spielrunde eingespielt.
Die aktive Teilnahme an der Szene endet gewöhnlich mit dem Schul- oder Studienabschluss, d. h. wenn beispielsweise Ortswechsel bestehende Spielrunden auflösen. Wer danach eine neue Runde gründet, sucht oder regelmäßig zur alten zurückkehrt, kann zum harten Kern der Szene gezählt werden. Die meisten ehemaligen Rollenspieler bleiben weiterhin ihrer Vorliebe für phantastische Filme, Comics, Literatur und Computerspiele treu.
Symbole
Im Alltag tragen Rollenspieler kaum erkennbare Symbole; Mode wird überhaupt eher als unbedeutend angesehen. Eine allgemeine Vorliebe für Schwarz lässt sich beobachten. Wenn überhaupt, dann verwenden Rollenspieler Zeichen des jeweiligen Genres (Gothic, Fantasy, Science-Fiction), dem sie zuneigen. Häufiger anzutreffen sind keltisch-mittelalterlicher Schmuck (Pentagramme, Lederarmbänder, keltische Kreuze) und T-Shirts von Mittelalter- oder Metal-Bands, sehr selten mittelalterliche Rüschen-Leinenhemden mit Lederhose, die aber alle keine sichere Zuordnung erlauben – hier sind die Grenzen zur Mittelalter- und Gothic-Szene fließend, zumal nicht wenige Spieler gleichzeitig einer dieser Szenen angehören. Nur bei ganz wenigen Rollenspielern findet man eindeutige Accessoires wie Würfelbeutel am Gürtel, Aufkleber und Anstecker eines Spielsystems oder T-Shirts mit ‘reinen’ Rollenspielmotiven.
Auf Conventions ändert sich das ein wenig: Dort sind eindeutige Zeichen etwas häufiger zu finden. So kostümieren (‘gewanden’) sich einige Spieler vollständig, und bestimmte Kleidungsstile – mittelalterlich, schwarz, militaristisches Camouflage – lassen Rückschlüsse auf das bevorzugte Spielsystem und Genre eines Spielers zu.
Die Wohnung eines Rollenspielers erkennt man in der Regel an phantastischer Literatur und Rollenspiel-Büchern, Soundtracks, Videos und DVDs von Genre-Filmen oder TV-Serien sowie Spielen, seltener auch phantastischen Postern, Filmplakaten oder Figuren.
Rituale
Außerhalb der Spielrunden findet man kaum Rituale. Treffen sich zwei Rollenspieler im Alltag, erkennen sie einander höchstens an der Äußerung typischer Medienvorlieben, -zitate und -anekdoten, die einen Rollenspieler-Hintergrund vermuten lassen. Ab und an lassen Spieler die Sprechweise ihrer Figuren in den Alltag einfließen; Fantasy-Spieler benutzen dann z. B. ein pseudomittelalterliches Deutsch, das aus altertümlichem Vokabular und Satzbau, Pluralis majestatis und häufigen Ausrufen und Imperativen besteht (‘Bring Er mir einen Humpen von seinem Besten!’). Einige Rollenspieler erzählen einander gern an öffentlichen Orten möglichst abenteuerliche oder blutrünstige Ereignisse der letzten Spielhandlung und genießen die so erzeugte Irritation der Nicht-Spieler (‘Normalsterblichen’).
Jede Spielrunde entwickelt jedoch eigene Rituale für den Spielabend: Von wann bis wann wird gespielt, wann Pausen gemacht werden, wer fährt wen nach Hause, was macht man zusammen vor oder nach einer Session usw. Auch der Aufbau der Spielutensilien auf dem Tisch ist einigermaßen eingespielt. Um Atmosphäre zu erzeugen, dimmen viele Spielrunden vor Beginn das Licht, zünden Kerzen an und legen zum Genre passende Hintergrundmusik auf. Ein Spielabend ist stets fest mit gemeinsamem Essen und Trinken verbunden (Softdrinks, Knabberkram, Süßwaren, Fast Food, Pizza), wobei die Spielgruppen feste ‘Speisepläne’ entwickeln: Wer bringt was mit, wann wird der Pizzadienst bestellt usw.
Events
In ganz Deutschland finden jedes Jahr zahlreiche so genannte ‘Cons’ statt, ein Kürzel für Conventions (‘Zusammenkünfte’). Ein Con erstreckt sich zumeist über ein Wochenende und wird von Rollenspielgruppen und/oder Spielverlagen ausgerichtet. Die gängigen Teilnehmerzahlen liegen zwischen 50 und 2.000 Personen. Der Eintritt von zwei bis vier Euro pro Tag deckt die anfallenden Kosten. Es gibt gewöhnlich warme Küche und eine Ecke für Schlafsäcke.
Ein ‘Con’ besteht aus über die ganze ‘Location’ verteilten Rollenspielrunden, die auf einem zentralen schwarzen Brett angekündigt werden. Spielleiter, die sich vor Beginn bei der Con-Leitung zum Halten einer Runde verpflichten, erhalten meist freien Eintritt. Cons bieten so die Gelegenheit, ‘nonstop’ zu spielen und außerhalb der eigenen Runde neue Spiele und Spieler kennen zu lernen.
Neben den Rollenspielrunden werden meistens Tabletop- und Trading Card Game-Turniere ausgerichtet und Spieltische für phantastische Brettspiele bereitgestellt; je nach Con finden auch Mini-Larps statt. Auf größeren Cons gibt es Workshops mit Spiel-Entwicklern und Signierstunden mit Fantasy-Autoren und -Zeichnern; üblich ist auch eine Videonacht mit einschlägigen Filmen. Spieleläden und andere Händler bauen Stände auf, an denen sie Rollenspielmaterial, Filme, Soundtracks, Comics, Literatur und sonstige Paraphernalia wie getöpferte Drachen oder Kerzenständer verkaufen. Wie bei LAN-Parties oder DVD-Nächten ist das ‘Durchmachen’ (also möglichst langes Durchspielen ohne Schlaf) ein selbstverständliches Ritual.
Das deutschlandweit größte Event ist die internationale Spielmesse in Essen, zu der die Verlage zahlreiche Neuerscheinungen herausbringen. Rollenspieler pilgern jährlich dorthin, um neue und alte Bücher und Spiele zu Messepreisen zu kaufen, sich über Systeme zu informieren und in Vorführrunden neue Spiele zu testen.
Treffpunkte
Der wichtigste Treffpunkt ist die eigene Spielrunde. Man trifft sich gewöhnlich am Wochenende bei einem Spieler oder dem Spielleiter zu Hause zu einer ‘Session’, um bis in die späte Nacht zu spielen. Neben den Spielrunden bilden die (Rollen-)Spielgeschäfte und Comicläden den bedeutendsten Knotenpunkt der Szene. Hier findet man die sonst schwer erhältlichen Rollenspiel-Bücher, schwarze Bretter, über die Spieler neue Gruppen suchen können, sowie Tische, an denen Trading Card- und Tabletop-Spiele gespielt werden. Viele Läden veranstalten regelmäßige Spielabende und Einführungsrunden oder sind Austragungsort von landesübergreifenden Turnieren. Webforen und Webshops machen ihnen jedoch zunehmend Konkurrenz.
Medien
Rollenspieler rezipieren ungewöhnlich intensiv Medien: Literatur, Filme, TV-Serien, Computerspiele und alle anderen Arten von Spielen. Auch Comics sind überaus beliebt; so verbreiteten sich die japanischen Mangas und Animes zuerst in der Comic- und Rollenspielszene. Rollenspieler grenzen kein Medium aus, sondern beschränken ihre Rezeption auf bevorzugte phantastische Genres: Fantasy, Science-Fiction, Horror, Mystery.
Rollenspiel und andere Medien stehen in enger Wechselwirkung. Viele Computerspiel-Genres gingen direkt aus dem Rollenspiel hervor. Erfolgreiche Medien jeder Art werden in Rollenspiele umgesetzt und innerhalb der Szene zu Genres mit festen Motiven, Stoffen und Stilen verdichtet. Aus diesem Ferment entstehen dann wieder eigene Romanserien, Computerspiele, Comics usw.
Szene-interne Medien sind eigene Rollenspielpublikationen und vor allem Fanzines, die mittlerweile mehr und mehr auf Internet-Foren und Websites ‘auswandern’. Sie enthalten in erster Linie Rezensionen neuer Rollenspielartikel, eigene Szenarien und Hintergrundmaterial sowie Kalender mit Con-Terminen.
Im Gegensatz zu vielen anderen Szenen spielt Musik im Rollenspiel keine szene-verbindende Rolle. Zwar gibt es durchaus ‘typische’ Musikrichtungen: Soundtracks von Genre-Filmen, Irish Folk und Loreena McKennitt; Metal (‘Blind Guardian’) oder Mischungen aus Metal und mittelalterlicher Musik (‘Apocalyptica’, ‘Schandmaul’, ‘Subway to Sally’, ‘In Extremo’), auch Gothic und Gothic-Affines (‘Tori Amos’). Rollenspieler definieren sich aber nicht über Musikstile – weder untereinander noch gegenüber der Allgemeinheit. Die ‘typischen’ Bands lernt man eher in Spielrunden oder auf Larps kennen, weil sie dort im Hintergrund laufen oder von anderen Spielern gehört werden.