Szeneprofil: Parkour
Intro
Parkour ist eine Sportart, bei der die effiziente, schnelle und elegante Fortbewegung durch den urbanen Raum ohne Zuhilfenahme von Hilfsmitteln im Mittelpunkt steht. Das Ziel von ‘Traceuren’, wie die Aktiven in der Parkour-Szene genannt werden, besteht darin, gebaute und/oder natürliche Hindernisse zu überwinden, wobei eine große sich stetig erweiternde Palette an anspruchsvollen und ästhetischen Bewegungsabläufen entwickelt und eingesetzt wird. Traceure setzen sich also kreativ mit ihrer Umwelt auseinander, wobei auch Elemente aus etablierten Sportarten – z. B. aus dem Turnen, der Akrobatik oder dem Skateboarding – adaptiert werden.
Der ‘Kick’ des Parkour besteht nicht darin, ein besonders hohes Risiko einzugehen. So gehören Sprünge über weite Abgründe zwischen hohen Gebäuden eher in die Welt der Action-Filme, als in die Lebenswelt von Traceuren. Der Reiz von Parkour liegt vielmehr in dem hohen Anspruch, den der Sport an die körperlichen Fähigkeiten der Aktiven stellt und in der Kreativität und Anpassungsfähigkeit, die von den Sportlern (aufgrund der je räumlichen Gegebenheiten) gefordert wird.
History
Die Grundidee von Parkour basiert auf einer alten Ausbildungsmethode des französischen Militärs, nämlich der ‘méthode naturelle’. Diese – bereits zu Anfang des 20. Jahrhunderts von Georges Hébert entwickelte – Methode sollte der effizienten und schnellen Überwindung von Hindernissen in unwegsamen Geländen dienen. Hébert verstand die ‘méthode naturelle’ als physische und mentale Ausbildung im Einklang mit der Natur. Bei der Entwicklung wurde er von der Körperlichkeit, Effizienz und altruistischen Haltung afrikanischer Stammesangehöriger inspiriert, die er auf seinen Reisen durch Afrika stets bewunderte. Seine Beobachtungen und persönlichen Erfahrungen, die er z. B. während der Organisation einer großangelegten Evakuation vor einem Vulkanausbruch auf Martinique sammelte, bildeten den Grundstein der ‘méthode naturell’.
In den folgenden Jahren etablierte sich diese Methode und wurde Teil der Standardausbildung des französischen Militärs. In diesem Zusammenhang erlernte auch Raymond Belle, ein Veteran der französischen Armee in Vietnam, die ‘méthode naturelle’ und gab seine Kenntnisse an seinen Sohn David Belle weiter.
Parkour entstand schließlich als der Jugendliche David Belle mit seiner Familie Ende der 1980er Jahre in einen Vorort von Paris zog. Dort zeichnete sich das räumliche Umfeld durch eine erdrückend wirkende Hochhaus- und Plattenbauarchitektur aus, die dem Bewegungsdrang von David Belle entgegenstand. Aus seinem Bedürfnis, sich (ausgestattet mit dem Wissen und Können verschiedenster Bewegungsmöglichkeiten in der Natur) mit dieser Umwelt kreativ und interaktiv auseinanderzusetzen, begann David Belle spielerisch im Kreise seiner Freunde die Techniken der ‘méthode naturelle’ auf urbane Verhältnisse zu übertragen. Mauern, Zäune, Balkone und Geländer wurden mit zunehmendem Ideenreichtum spielerisch überwunden. Aus begrenzenden und einschränkenden Hindernissen wurden nun Freiheits-, Möglichkeits- und Bewegungsräume.
Anfang der 1990er Jahre schloss sich David Belle mit einigen Gleichgesinnten zusammen und gründete die Gruppe ‘Yamakasi’. Die Palette an Bewegungsabläufen erweiterte sich rasch. Nahezu zeitgleich etablierte sich die Bezeichnung ‘Le Parkour’ für die neue Bewegungsform und den damit zusammenhängenden Lebensstil. Die Bewegungsabläufe vervielfältigten sich seit Gründung der ‘Yamakasi’ stark: Kam ein großer Teil der von David Belle in den Sport ‘transportierten’ Bewegungsabläufe noch aus der ‘méthode naturelle’ und dem klassischen (Geräte-)Turnen, so wurden nun zunehmend Formen aus der Akrobatik, dem Bodenturnen, verschiedenen Kampfsportarten und sogar Tanzformen integriert.
Literatur
Strukturen
Der Szenealltag, etwa in Form gemeinsamer Trainingstreffen, spielt sich in der Parkour-Szene überwiegend in lokalen oder regionalen Gruppen ab. Die Vernetzung zu festen Gruppen sowie die Wahl eines identitätsstiftenden Gruppennamens dienen nicht nur Repräsentationszwecken sondern auch einer szene-internen Solidarisierung im Umgang mit der nicht-szenischen Öffentlichkeit – und damit einer Verbesserung der Chancen, szenetypische Raumansprüche geltend machen zu können. Für Einzelgänger sollten sich derartige Aushandlungsprozesse hingegen eher schwierig gestalten.
Traceure und Parkourgruppen zeigen sich jedoch auch überaus aktiv und mobil, wenn es um die Knüpfung überregionaler Kontakte geht. Ein reger Austausch ist nicht ausschließlich im deutschsprachigen Raum zu beobachten: Das Parkournetzwerk erstreckt sich weit über regionale und nationale Grenzen hinweg, so dass von einer international ausgerichteten, wenn nicht sogar globalen Parkour-Szene die Rede sein kann.
Konnte ‘Parkour’ anfangs noch als ‘Sammelbecken’ für eine Vielzahl von bewegungssportlichen Einflüssen auf der Basis eines konkreten traditionellen ‘philosophischen’ Fundaments verstanden werden, so erreichte dieses ‘Gefäß’ mit dem Aufkommen von ‘Freerunning’ und ‘Tricking’ die Grenzen seines Fassungsvermögens. Aus dem Parkour haben sich im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte weitere Spielarten entwickelt, die nunmehr gleichwertig unter dem Dach ‘Kunst der Fortbewegung’ nebeneinander stehen. Obwohl diese Einordnung auf eine horizontale Hierarchie der Bewegungssportarten hindeutet, verweisen kontroverse Diskussionen innerhalb der Parkour-Szene wie auch in benachbarten sportzentrierten Szenen auf eine Tendenz zur Ausprägung vertikaler Strukturen: Innerhalb der Parkour-Szene wird anhaltend diskursiv ausgehandelt, welche der Freestyle-Sportdisziplinen jeweils höher zu bewerten sind als andere. Neuerdings wird der Begriff ‘Parkour’ mehrheitlich wieder gemäß der ursprünglichen Definition nach David Belle verwendet.
Fakten
Nicht zuletzt durch die Medienpräsenz von Parkour, aber auch aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten, sich der Szene mit neuen Ideen und auf unterschiedlichem Niveau zuzuwenden, spricht Parkour immer mehr Menschen an. Die Altersspanne der in der Parkour-Szene Aktiven reicht von 10 bis 40 Jahren. Die Altersgruppe zwischen 15 bis 25 Jahren bildet den zahlenmäßig größten und aktivsten Teil der Szene. Die jüngeren Protagonisten sind eher in szene-internen Internetforen und in Parkour-Videos aktiv, während die ‘älteren Semester’ vermehrt Gruppen gründen, um ihr Wissen und Können weiterzugeben.
Wie in den meisten urbanen Bewegungssportarten mit erhöhtem Verletzungsrisiko (wie z. B. dem Skateboarding oder Inline-Skaten) ist der Frauenanteil sehr gering. Dies kann zum einen daran liegen, dass die Szene noch relativ neu ist, zum anderen werden – zumindest bei oberflächlicher bzw. gender-stereotyper Betrachtungsweise – in erster Linie Eigenschaften und Bedürfnisse bedient, die bei Männern stärker ausgeprägt sind (wie z. B. Risikobereitschaft und Kräftemessen). Da Parkour jedoch dem eigentlichen Anspruch nach keinen Wettkampfcharakter hat und die Fähigkeiten eines Traceurs vielmehr durch die Eleganz und Geschmeidigkeit seiner Bewegungen als anhand messbarer (Kraft-)Leistungen bestimmt werden, kann damit gerechnet werden, dass sich der Anteil an Frauen innerhalb der Szene zukünftig noch erhöhen wird.
Im Parkour sind Ausrüstungsgegenstände und Hilfsmittel (abgesehen von gut gefedertem, sicherem Schuhwerk) nicht notwendig. Parkour ist (insofern) sowohl sozial benachteiligten jungen Menschen zugänglich, denen es um eine kreative und interaktive Auseinandersetzung mit ihrem möglicherweise ansonsten als beschränkend empfundenen Lebensumfeld geht, als auch solchen Jugendlichen, die in der Szene vornehmlich eine Plattform zur Verwirklichung eigener Vorstellungen und Ideale suchen. Die Eintrittsschwelle ist also nicht mittels ‘Geld’ sondern mittels der Bereitschaft zu körperlichem Einsatz zu überschreiten.
Relations
Innerhalb anderer urbaner, sportzentrierter Szenen (z. B. Skateboarding, BMX, Mountainbike etc.) scheint es, als würde Parkour weitestgehend als interessantes Phänomen wahrgenommen. Die Beziehung zu etablierten Sportarten, die den inhaltlichen Grundstein für Parkour bilden, ist demgegenüber gespalten. Für viele ambitionierte Sportler aus dem Turnbereich, den Kampfkünsten oder der artistischen Szene stellt Parkour einen Rahmen dar, in dem sich bekannte Elemente sehr ‘frei’, kreativ und individuell gemäß der jeweils eigenen Bewegungsvorlieben in selbstgestellten Herausforderungskonstellationen anwenden lassen – für andere Aktive dieser Sportarten scheint es eher störend zu sein, dass Traceure ohne professionelle Anleitung und ohne ausgefeilte Trainingspläne augenscheinlich unsystematisch Bewegungsformen einüben und anwenden. Sportler, die der Parkour-Szene kritisch gegenüberstehen, definieren ‘Qualität’ bzw. sportliche Leistung vor allem anhand der perfekten Ausführung einzelner über Bewertungsskalen normierter Bewegungsabläufe. Diesem starren Kriterienkatalog setzt Parkour seine eigenen (auf den ersten Blick) flexibleren Qualitätsmaßstäbe entgegen, die sich im Wesentlichen umschreiben lassen mit einer möglichst vielseitigen, kreativen Anwendung von Bewegungen und ihrer Kombination zu einem Bewegungsmuster, das eine enge Beziehung mit der natürlichen oder gebauten Umgebung eingeht. So überrascht es nicht, dass einzelne Sportler aus anderen Bereichen Inspiration aus dem Parkour beziehen, sich mit der Grundidee beschäftigen oder gemeinsam mit Traceuren trainieren, während Parkour von Seiten etablierter Sportorganisationen vielfach noch mit Vorsicht betrachtet wird. Kooperationen zwischen Parkourgruppen und Sportverbänden sind aktuell noch eher eine Seltenheit.
Die Parkour-Szene selbst zeigt sich hingegen sehr offen für Einflüsse aus anderen urbanen, sportzentrierten Szenen. Die daraus entstehenden Beziehungsgeflechte sind allerdings bislang als ‘locker’ zu bezeichnen und befinden sich derzeit noch vorwiegend in einem frühen Entwicklungsstadium. Dies zeigt sich beispielsweise daran, dass sich in anderen sportzentrierten Szenen noch kein erkennbarer Konsens hinsichtlich der Bewertung von Parkour durchgesetzt hat und – umgekehrt – innerhalb der Parkour-Szene noch kein generalisierbarer szene-öffentlicher Common Sense zum Stellenwert anderer Szenen die szene-interne Diskussion dominiert. Zwischen der Parkour-Szene und musikzentrierten Szenen lassen sich bislang noch keine spezifischen Sympathien oder Antipathien feststellen.
Fokus
In erster Linie besteht der thematische Fokus der Parkour-Szene in einer körperlich-aneignenden wie auch sprachlich-diskursiven Auseinandersetzung mit verschiedenartigen Bewegungsformen, die es für einen sportlich-kreativen Umgang mit der räumlichen Umwelt zu beherrschen, auszudifferenzieren und weiterzuentwickeln gilt.
Zunächst wird dabei in der Regel das relativ überschaubare Standardrepertoire der Grundbewegungen erlernt. Diese werden nach und nach dergestalt trainiert, dass sie der Überwindung schwierigerer Hindernisse dienen können, flüssiger ausfallen, ökonomischer ausgeführt sowie miteinander kombiniert werden können. Mitunter können diese szenetypischen Lernprozesse von Phasen der Stagnation unterbrochen werden, denen Traceure mit Frustrationstoleranz trotzen müssen, wenn sie ihre selbstgesteckten Lernziele erreichen wollen. Eines der Ziele (in der Anwendung der beherrschten Bewegungen) ist etwa eine kreative Überwindung von Hindernisanordnungen, die auf einfallsreiche Weise komplex choreografiert in einen zusammenhängenden Lauf eingebunden werden.
Auf der nächsten Stufe des Könnens wenden sich Traceure häufig zusätzlich weiteren Spielarten der Kunst der Fortbewegung zu. Um eine stetige Erweiterung des Bewegungsrepertoires zu begünstigen, beziehen viele Traceure Inspiration aus anderen Bewegungssportarten oder -szenen (wie z. B. dem ‘Freerunning’). Aus dem Anspruch, permanent neue Bewegungsmöglichkeiten zu entdecken und die Kunst der Fortbewegung dadurch insgesamt beständig zu perfektionieren, ergibt sich eine generelle Offenheit für Einflüsse anderer Bewegungssportarten und die daraus resultierenden verschiedenen Spielarten von Parkour.
Vor dem Hintergrund einer sich stark ausweitenden Nutzung von Parkour als Träger für Werbebotschaften zeigen sich in der Parkour-Szene Bemühungen, diesen Sport mitsamt der zugrundeliegenden Philosophie umfassend und korrekt nach Außen darzustellen. Beispielsweise sollen Traceure durch die szene-interne Veröffentlichung von ‘Handlungsrichtlinien’ für einen kompetenten Umgang mit Medienvertretern geschult und sensibilisiert werden, um hiermit die Veröffentlichung missverständlicher oder reißerischer medialer Darstellungen zu vermeiden. Das Engagement im Bereich der Außendarstellung kann als ein weiterer thematischer Fokus einzelner Traceure oder entsprechend motivierter Gruppierungen gesehen werden.
Einstellung
Die Parkour-Szene verfügt über eine integrale Philosophie, die aus den Ursprüngen von Parkour (bzw. der ‘méthode naturelle’) abgeleitet ist. Mit dieser Philosophie befassen sich die meisten Traceure früher oder später mehr oder weniger intensiv: In den Grundzügen legt diese einen reflektierten, respektvollen und verantwortungsbewussten Umgang mit den eigenen körperlichen und emotionalen Grenzen ebenso wie mit der sportiv in Anspruch genommenen Umwelt nahe. Zudem kann der ‘Wertekatalog’ der Traceure auch Empfehlungen für das soziale Miteinander enthalten – also beispielsweise einen sensiblen Umgang mit den Grenzen anderer Menschen. Die natürlichen oder gebauten Räume, die für den Sport in Anspruch genommen werden, dürfen durch die Nutzung nicht verändert werden (Beschädigungen sind unter allen Umständen zu vermeiden). Viele Traceure zeigen außerdem eine grundlegend offene Einstellung gegenüber Neuem und Fremdem: Neue Orte werden als Möglichkeitsräume gesehen, neue Sportarten können der Bereicherung des eigenen Bewegungsrepertoires dienen.
Es gilt zudem als Konsens in der Szene, dass es in der Ausübung von Parkour darum geht, ein gutes Gespür für die Belastungs- und Leistungsgrenzen des eigenen Körpers zu entwickeln: Individuelle Grenzen sollen schrittweise erfahren und zugunsten der eigenen Sicherheit respektiert werden. Selbstüberschätzung der eigenen Fähigkeiten wird in der Szene als große Schwäche angesehen. Insofern steht ein kreativer und spielerischer Umgang mit der Umwelt einer ernsthaften, sicherheitsorientierten und verantwortungsvollen Ausübung des Parkoursports gegenüber, wobei der eigene sportliche Entwicklungsstand kontinuierlich zu reflektieren bleibt. Erst auf dieser Basis eröffnen sich für Traceure die am Parkoursport hochgeschätzten Möglichkeiten, sich in der Bewegung in urbanen oder natürlichen Räumen von Zwängen zu befreien, Freiheitsräume zu erleben, auszudehnen und zu legitimieren.
Weitestgehend Einigkeit besteht auch darüber, dass Parkour nicht dem Wettbewerb dienen soll. Im Idealfall soll ein Traceur den Sport in erster Linie ‘für sich’ sowie ‘um seiner selbst willen’ ausüben und damit keine Außenwirkung erzielen wollen. Das sportliche Element der ‘Konkurrenz’ sollte (aus Sicht der Mehrheit der Traceure) nachrangig sein und in verantwortungsbewusster wie konstruktiver Weise ausgeübt werden. Die Ablehnung eines Wettkampfcharakters von Parkour wird vor allem damit begründet, dass unter Wettkampfbedingungen (unter Umständen) die notwendige Konzentration auf die ausgeführten Bewegungen vernachlässigt werden könnte.
Lifestyle
Innerhalb der Parkour-Szene gibt es keine expliziten Vorgaben, die auf den Lebensstil der Zugehörigen oder auf die Gestaltung ihres außer-szenischen Alltags gerichtet sind. Das mag unter Anderem damit zusammenhängen, dass die Parkour-Szene unter ihrem Dach einige relativ heterogene Szenefraktionen vereinigt, deren Auslegung der Parkour-Philosophie und deren Ausübung des Parkoursports sich deutlich voneinander unterscheiden. Ein großer Teil der überdurchschnittlich engagierten und aktiven Traceure definiert sich als ‘Sportler’: Diese Selbstdefinition kann sich in allen Lebensbereichen niederschlagen und schließt dann überdies eine gesunde Lebensführung und eine bewusste Ernährung ein. Als ‘Ausweis’ für ein authentisches Szenegängertum ist diese Form der Selbstdefinition innerhalb der Szene jedoch nicht umfassend anerkannt.
Die Mehrheit der Traceure zeigt sich gegenüber Einflüssen aus anderen Bewegungssportarten relativ aufgeschlossen. Ähnlich gestaltet sich der szene-interne Umgang mit anderen Szenen: Ob ein Traceur sich beispielsweise anderen sport- oder musikzentrierten Szenen zurechnet – dementsprechend in seinem außer-szenischen Alltag ein typisches modisches Outfit solcher anderen Szenen wählt oder an deren Aktivitäten partizipiert – bleibt seine eigene Angelegenheit. Innerhalb der Parkour-Szene werden Fragen der außer-szenischen Lebensführung überhaupt nur dann kommentiert oder kritisiert, wenn durch anderweitige Zugehörigkeiten die Ausübung von Parkour unmittelbar beeinträchtigt wird. Insgesamt nehmen die Ausübung von Parkour sowie die Pflege der Kontakte zu anderen Traceuren einen wichtigen Stellenwert im Leben der Szenegänger ein und können dementsprechend viel Zeit beanspruchen.
Symbole
Für die Parkour-Szene lassen sich (derzeit nur) wenige Symbole benennen: Über einen typischen Gruß oder ein szeneaffines Mode-Label ‘verfügt’ die Szene nicht. Anders als in der Sportkletter-Szene haben sich also noch keine (eigenständigen) Szene-Marken etabliert. Zum Standard-Sportdress der Traceure gehören gut sitzende stoßabsorbierende Schuhe mit einer griffigen Sohle, (meist) lange Trainingshosen und locker sitzende Shirts. In Einzelfällen werden zur Vermeidung von Abschürfungen Handschuhe getragen – und auch Schweißbänder sind ein verbreitetes sportmodisches Accessoire: Beide Kleidungsstücke gehen jedoch wohl kaum als szenespezifische Symbole oder gar als Indikatoren für eine Szenezugehörigkeit durch. Lokale oder regionale Parkourgruppen geben sich häufig ‘Gruppennamen’ und entwickeln eigene Logos, die zu Repräsentationszwecken beispielsweise auf T-Shirts aufgedruckt werden können bzw. mit denen die Zugehörigkeit zu ‘ihrer’ Gruppe gekennzeichnet werden soll.
Rituale
Das gemeinsame Training bildet das zentrale Ritual der Parkour-Szene, welches mitunter in Form von Workshops organisiert sein kann. Als eine Art ‘Alltagsritual’ kann daneben auch Kommunikation und Informationsaustausch auf szeneeigenen Internetseiten gelten. Online- wie Offlinezusammenkünfte dienen dabei nicht nur der Stabilisierung eines Zusammengehörigkeitsgefühls sondern auch der Vermittlung von Fähigkeiten und Kenntnissen. Es scheint ein wichtiges Anliegen für ‘erfahrene’ Traceure zu sein, innerhalb einer sich in vielfältige Richtungen entwickelnden Szene ihr eigenes Wissen und die Grundgedanken des Parkour an Neueinsteiger weiterzugeben.
Als ein beliebtes Ritual ist das so genannte ‘Spots abklopfen’ zu sehen: Bei Zusammenkünften von Traceuren wird nach dem Aufwärmen und ‘Einspringen’ an einem vorher festgelegten Treffpunkt häufig dazu übergegangen, einen Rundgang durch das Quartier oder den Stadtteil durchzuführen. Hierbei werden gemeinsam neue potentielle Möglichkeitsräume exploriert und auf ihre Ausstattung mit ‘spannenden’ nutzbaren Hindernissen oder aber auch auf Konfliktpotenziale geprüft, die sich aus Ansprüchen anderer Raumnutzer ergeben könnten. Solche Überprüfungen können stattfinden, indem Traceure die räumlichen Gegebenheiten unmittelbar ausprobieren oder indem eine spätere Nutzung zunächst innerhalb der Gruppe oder gemeinsam mit anderen Nutzergruppen diskursiv ausgehandelt wird.
Gewissermaßen ‘rituell’ ist zudem die Art, in der eine Objektanordnung einem Eignungstest für die sportliche Betätigung unterzogen wird. Um einen Überblick über den aktuellen Entwicklungsstand der eigenen Leistungsfähigkeit zu erhalten, werden im Training bewältigte Distanzen kontinuierlich gemessen. Um sicherzustellen, dass die Maßeinheit nicht zu einem in der Parkour-Szene ungewollten Konkurrenzdenken beiträgt und tatsächlich Aufschluss über individuelle körperliche bzw. sportliche Grenzen gibt, werden überwundene Distanzen in der jeweils eigenen Fußlänge gemessen – also nicht in absoluten Einheiten, sondern in Relation zur eigenen Körpergröße. Daher ist zu beobachten, dass Traceure in der Exploration eines neuen Trainingsorts markante Stellen zunächst in ‘Trippelschritten’ abgehen, um bereits vor der Ausführung eines Sprunges eine konkrete Vorstellung von seiner Machbarkeit zu gewinnen. Diese Praxis entspricht der Philosophie des Parkour, in der eine Raumaneignung ohne Verwendung von Hilfsmitteln impliziert ist. Resultat ist, dass kein Maßband oder Zollstock mitgeführt werden muss und der Traceur auf ein ‘Messinstrument’ zurückgreifen kann, das er ohnehin immer mit sich ‘führt’. Es gilt weitreichend als Konsens, dass der Schwierigkeitsgrad neuer Sprünge oder Bewegungen grundsätzlich deutlich unterhalb der eigenen maximalen Leistungsfähigkeit angesetzt werden soll, um das Risiko einer Verletzung kalkulierbar zu halten.
Events
Für die Parkour-Szene sind zwei Eventarten zentral: Zum eine Workshops, die von Szenegängern organisiert werden, und zum anderen Workshops oder Show-Events, für die externe Anbieter verantwortlich zeichnen.
Das Spektrum der szene-intern angebotenen Workshops reicht von regelmäßigen Veranstaltungen zum kontinuierlichen Training der eigenen Fähigkeiten bis hin zu professionell ausgerichteten Workshops nationaler und internationaler Organisationen (wie zum Beispiel der ‘PAWA’, ‘Parkour-One’ oder ‘Parkour-im-Pott’). Die letztgenannten Events werden oftmals von einem Rahmenprogramm aus Shows oder Musik begleitet und weisen teilweise Messecharakter auf. Als zentrale Events können beispielsweise die Veranstaltungen von ‘Parkour-One’, der Tricking-Wettkampf ‘The Big Trick’ von ‘Move Artistic’ oder auch die ‘PSP (Playstation Portable) – The Way-Workshops’ bezeichnet werden. Letztere werden als Tour durch verschiedene deutsche Städte konzipiert. Traceure nutzen solche Großveranstaltungen zur Knüpfung neuer Kontakte und zur Vernetzung mit anderen Aktiven: Wissensvermittlung und ein überregionaler Erfahrungsaustausch stehen im Vordergrund, wenn Interessierte und Anfänger dort die Möglichkeit erhalten, mit erfahrenen Größen der Szene zu trainieren.
Aufgrund der großen Resonanz bei Jugendlichen und wohl auch wegen der – aus pädagogischer Sicht – vermittlungswürdigen Inhalte und Zielsetzungen von Parkour, finden ‘Parkour-Schnupperkurse’ mittlerweile immer öfter einen Platz im programmatischen Rahmen von Jugendveranstaltungen. Eben jene große Resonanz scheint zudem zu der Annahme einer ‘Werbewirksamkeit’ von Parkour zu führen, so dass Parkourshows mit steigender Häufigkeit als Unterhaltungselement in Events unterschiedlichster Art eingebunden werden. Auch die internationale Artistik- und Varieté-Szene erkennt zunehmend das enorme Potenzial, das in einer Kooperation mit oder einer Förderung von Akteuren aus der Parkour-Szene stecken könnte. In diesem Bereich kommen zumeist interkulturell-ausgerichtete Showaufführungen zu Stande, die eine Brücke zwischen etablierter und innovativer-urbaner Kultur schlagen sollen.
Im Zuge der Einführung der Parkour-Spielart des ‘Parcouring’ etablieren sich nunmehr auch Veranstaltungen mit Wettkampfcharakter. Ein namhafter Sportartikelhersteller (‘Asics’) besitzt mittlerweile die Rechte an der Vermarktung dieser Sportart und im Jahr 2009 wurde zum zweiten Mal die Weltmeisterschaft ausgetragen.
Treffpunkte
Anlass der Zusammenkünfte in der Parkour-Szene ist in der Regel ein gemeinsames Training oder ein gemeinsamer Lauf. Solche Treffen können über das Telefon oder Internet arrangiert werden, einmalig sein und zuvorderst der Schließung von neuen Bekanntschaften dienen. Sie können sich aber auch zu regelmäßigen Treffen verstetigen und damit als wichtiger Bestandteil der Communitypflege gesehen werden. Oft werden Abspielgeräte zu den Trainingsorten mitgebracht, da viele Traceure musikbegeistert sind und sich durch eine musikalische Untermalung eine besondere Trainingsatmosphäre fördern lässt.
Dabei nutzt die Szene sämtliche Orte im städtischen Raum, deren bauliche Struktur eine interessante Kombination von Bewegungsabläufen ermöglicht. Bei der gemeinsamen Begehung einer Stadt zur Lokalisierung von potenziellen Trainingsorten (Spots) geht es jedoch normalerweise vielmehr darum, dass möglichst abwechslungsreiche Hindernissettings und -strecken gefunden werden, die es zulassen, in einem längeren durchgehenden Lauf überwunden zu werden. Zur Akquise von Orten, an denen regelmäßig und ganzjährig trainiert werden kann, haben sich mittlerweile viele Traceure zu Gruppen zusammengeschlossen, um beispielsweise Turnhallen und ihre Geräteausstattung nutzen zu können. Sofern Hallen nicht zur Verfügung stehen, werden alternativ gern Spielplätze genutzt, um unter einigermaßen gesicherten Bedingungen zu trainieren. Manche Traceure bevorzugen die einladende Architektur von ehemaligen Industrieflächen, wobei diese Vorliebe in puncto Trainingssicherheit allerdings durchaus in Frage zu stellen ist. Bislang existieren keinerlei Sportplätze, die auf Parkour spezialisiert sind und auf denen dieser Sport offiziell ausgeübt werden kann. In Gladbeck (NRW) wird derzeit erstmalig die Realisierung einer solchen Trainingsfläche vorangetrieben.
Auch virtuelle Treffpunkte haben in der Parkour-Szene ihren Platz: Häufig bilden kleinere Gruppen von Traceuren früh eine feste Gruppe mit eigenem Namen und eigener Internetseite, wodurch Anschluss an bereits vorhandene Szenenetzwerke gesucht wird. Internetforen werden unter anderem genutzt, um sich mit Gleichgesinnten zu einmaligen oder regelmäßigen Trainingstreffen zu verabreden und sich über das szenerelevante Können und Wissen auszutauschen.
Medien
Das Internet ist nahezu das einzige Medium, das in der Parkour-Szene eine Rolle spielt. Fanzines im Printformat werden von Szenezugehörigen hingegen gar nicht genutzt oder produziert. Das Internet erfüllt eine Vielzahl von Funktionen: Alle szenerelevanten Informationen – über die Geschichte und Inhalte des Parkour, über Treffen und Events, über verschiedene aktive Gruppen usw. – können im Netz abgerufen werden. Auch die regionale und überregionale Vernetzung von Traceuren wird über das Internet organisiert. Häufig werden über Parkourportale auch so genannte ‘Tutorials’ zur Verfügung gestellt. Das sind Sammlungen von anfängergerecht aufgearbeiteten Beschreibungen verschiedenster Bewegungsabläufe in Wort und/oder Bild, die auch ohne persönliche Anleitung durch einen Trainer ein schrittweise aneignendes Nachvollziehen und Erlernen der Bewegungen ermöglichen sollen. Außerdem werden offene Videocommunities (wie YouTube oder Clipfish) sowie szene-interne Internetplattformen zum Upload von Videos genutzt, in denen Traceure ihr Können vorführen. Eigene ebenso wie fremde Videobeiträge unterschiedlicher Qualität können dort bewertet und diskutiert werden, wovon die Szene intensiven Gebrauch macht. Aufgrund der starken medialen Ausrichtung auf CPU-basierte Medien, kann auch die kreative Auseinandersetzung mit ‘neuen Medien’ (Video-, Bild- und Fotobearbeitung, Programmierung von Homepages etc.) als eine der Hauptaktivitäten vieler Protagonisten der Szene gesehen werden. Die Nutzung von szene-internen Medien wirkt durch die Verbreitung der szenekonstitutiven Idee zwar stabilisierend auf die Szene, jedoch kann die Beschäftigung mit Szenemedien die tatsächliche Ausübung des Parkoursports nicht im Sinne eines Kriteriums für ‘Zugehörigkeit’ ersetzen: Wer zur Szene dazugehören will, muss bereit und in der Lage sein, sich die szenetypischen Bewegungsweisen anzueignen. Die sportlich-körperliche Dimension besitzt ‘oberste Priorität’ in der Szene.
Für eine szene-externe Berichterstattung scheint Parkour ein reizvolles Thema zu sein, was sich daran zeigt, dass sich Medienbeiträge über diese Szene in Printmedien ebenso wie im Fernsehen mittlerweile häufen. Dies könnte momentan noch auf den Nimbus des Neuen zurückgeführt werden, da eine Vielzahl der Berichte die Szene als ein neuartiges exotisches Phänomen porträtiert. Während in einigen Berichten auf die Ursprünge der Szene und ihre umfassenden ethischen Grundsätze eingegangen wird, liegt der Schwerpunkt vieler Beiträge oft eher auf den spektakulären artistischen Bewegungen der Traceure sowie auf den Risikofaktoren des Parkoursports. Häufig werden Traceure – sehr zum Verdruss von Szenezugehörigen – als risikobereit, geradezu übermenschlich leistungsfähig oder unreflektiert Handelnde dargestellt.
Parkour erscheint zudem, wohl wegen seiner charakteristischen jugendlich-dynamischen Ausstrahlung, als geeigneter Träger für Werbebotschaften. Auch in Kinofilmen und Musikvideos wurden bereits Sequenzen gezeigt, in denen Parkour ausgeübt wurde, so dass davon auszugehen ist, dass eine öffentliche Aufmerksamkeit für diesen Sport unter anderem aus derartigen Mediendarstellungen resultiert. Mit steigender Tendenz ist auch zukünftig mit einer konstanten Präsenz von Parkour in den Medien zu rechnen.