Szeneprofil: LAN-Gaming
Intro
Spätestens seit dem Amoklauf eines Jugendlichen in Erfurt sind die Besucher von LAN-Parties verstärkt in den Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit gerückt. In den Medien wird das Augenmerk vor allem auf die Vielzahl Gewalt affiner Spiele gerichtet und Mutmaßungen über negative sozialisatorische Effekte des Konsums von Computerspielen auf Jugendliche werden von diversen Computerspiel-Experten geäußert.
Rein technisch besehen steht die Abkürzung LAN für ‘Local Area Network’. Dahinter verbirgt sich ein lokal begrenztes Computer-Netzwerk, das – anders als das Internet – entsprechend nur einem begrenzten Personenkreis zur Verfügung steht. LAN-Spieler erstellen derartige Netzwerke bei ihren Treffen (den so genannten LAN-Parties), um unterschiedliche Computerspiele mit- bzw. gegeneinander zu spielen.
History
Die Entstehung der Szene geht auf die Einführung von ‘Multiplayer-Spielen’ (u. a. ‘Doom’) auf dem Software-Markt zu Beginn der 1990er Jahre zurück. Diese Spiele ermöglichten bei entsprechender Vernetzung von Rechnern erstmals die gleichzeitige Teilnahme mehrerer Spieler an einem Computerspiel.
Bereits kurz nach der Einführung war es üblich, sich in privaten Räumlichkeiten zu treffen und die vorhandenen Computer zu vernetzen. Aus diesen privaten Treffen einiger weniger entstand im Laufe der Zeit eine große Anzahl von Spieler-Gemeinschaften. Zusätzlichen Vorschub leistete die rasante technologische Entwicklung der letzten Jahre sowohl im Computer-Hardwarebereich als auch im Softwarebereich. In immer kürzeren Abständen auf den Markt kommende Spiele wurden im Gleichschritt mit den Ansprüchen der wachsenden Spielergemeinde immer komplexer und grafisch aufwändiger.
Heute ist es einerseits üblich, via Internet gegen- und miteinander zu spielen. Für die LAN-Szene spielen jedoch die zahlreichen LAN-Parties eine immer größere Rolle. Neben einigen Pro-Gaming-Ligen (wie z. B. die ‘CPL’ oder die ‘PGCL’) hat sich die ‘World Wide Championship of LAN-Gaming’ (‘WWCL’) – als Liga für jedermann seit dem Jahr 2001 – innerhalb der Szene etabliert.
Literatur
Strukturen
Grundsätzlich können die Akteure der LAN-Szene den drei Tätigkeitsbereichen Spielen, Veranstalten und Berichterstattung zugeordnet werden. Diese analytisch eindeutige Trennung ist empirisch allerdings selten in Reinform vorzufinden. Oftmals ist ein Szenegänger in allen drei Bereichen in ‘irgendeiner’ Form aktiv und lediglich seine aktuellen Interessen sowie temporären Vorlieben lassen eine Schwerpunktsetzung in einem dieser Bereiche offenkundig werden.
Fakten
Seit 1997 ist ein starker Zuwachs von LAN-Parties in der Szene zu verzeichnen und auch die absoluten Teilnehmerzahlen pro Veranstaltung steigen kontinuierlich an. Das Altersspektrum der Partybesucher liegt zwischen 13 und 30 Jahre. Viele jüngere Akteure der Szene spielen vorwiegend auf kleineren Parties an privaten Orten oder im Internet, da bei öffentlichen LAN-Parties die Jugendschutzbestimmungen greifen und die Teilnehmer daher mindestens 16 Jahre alt sein müssen.
Die LAN-Szene ist stark männlich dominiert, wenngleich inzwischen vermehrt auch Frauen auf LAN-Parties anzutreffen sind. Zwar sind Frauen noch immer hauptsächlich in Randbereichen wie dem Rahmenprogramm (z. B. zur Vergabe von Preisen), der Bewirtung oder der Besucherbetreuung auf LAN-Parties tätig, allerdings spielen sie auch zunehmend selber. So wurden in den letzten zwei Jahren erheblich mehr Spielerinnen als noch in den Vorjahren in der Szene registriert. Ihre spielerischen Fähigkeiten, die sie sowohl in reinen Frauenteams (siehe z. B. www.zockerweibchen.de) als auch in gemischten Teams unter Beweis stellen, sind mit denen der männlichen Kontrahenten gleichzusetzen. Auch die Auswahl der Spiele unterscheidet sich nicht erkennbar von jener der männlichen Akteure. Vermutungen, dass Frauen eher gewaltfreie Spiele bevorzugen, können von uns nicht bestätigt werden. Die Auswahl der Spiele hängt bei Spielern beiderlei Geschlechts vielmehr stark von persönlichen Vorlieben und den aktuell auf dem Softwaremarkt angebotenen Produkten ab.
Relations
Bei der LAN-Szene handelt es sich um eine ausgesprochen offene Szene, d h. es existieren kaum Zugangsbarrieren. Dementsprechend lassen sich in der LAN-Szene vielfältige Überschneidungen zu anderen, insbesondere zu spielaffinen Szenen feststellen – eine relativ große Schnittmenge besteht zur Warez-Szene.
Fokus
Netzwerk-Spieler spielen (‘daddeln’) in bestimmten Konstellationen (z. B. so genannten ‘Clans’) mit- und gegeneinander. Dabei greifen sie auf zwei Modi der Vernetzung zurück: Entweder via Internet oder über lokale, in der Regel für die jeweiligen Veranstaltungen eigens aufzubauende Netzwerke (z. B. auf LAN-Parties).
Im Internet bewegen sich die Spieler in der Regel anonym. Sie begegnen einander lediglich als Spielfiguren mit fiktiven Namen. Diese ‘virtuelle’ Form des Spielens dient oftmals als Training, das ‘mal eben’ ohne großen Koordinationsaufwand vollzogen werden kann.
Auf LAN-Parties kommt es dagegen zu ‘realen’ Kontakten zwischen den Spielern. Hier trifft man sich, pflegt Kontakte, knüpft Freundschaften und hat ganz einfach Spaß. Darüber hinaus dienen die Treffen dem Austausch von technischem sowie spielerischem Know-how und der Diskussion über Neuentwicklungen aus den Bereichen Hard- und Software. Das führt dazu, dass der typische Netzwerk-Spieler über ein ausdifferenziertes (Computer-)Wissen verfügt. Seit einiger Zeit gibt es innerhalb der LAN-Szene auch profit-orientierte Spieler (‘Pro-Gamer’), die bei großen (internationalen) Turnieren um hohe Gewinnsummen spielen und von Sponsoren unterstützt werden.
Einstellung
LAN-Spieler treffen sich in der Regel, um eine gesellige Zeit mit Gleichgesinnten zu verbringen und sich in sportlich motivierten Wettkämpfen (als Clan oder Einzelspieler) zu messen. Es geht darum, möglichst viele Spiel-Punkte zu erzielen und am Ende eines Spiels oder eines Turniers eine gute Platzierung zu erreichen.
Zum erfolgreichen Spiel sind vielfältige Kompetenzen nötig, die nur durch intensives Training erlangt werden können. Von zentraler Bedeutung sind Kenntnisse über spiel-spezifische ‘virtuelle’ Umgebungen (so genannte ‘Maps’) sowie Fertigkeiten im Umgang mit den je figuren-spezifischen Werkzeugen, Accessoires und Zusatzfunktionen.
Ebenso wichtig sind strategische Konzepte: Da hinter den virtuellen Gegnern ‘echte’ menschliche Gegner handeln, ist der Spielablauf im Gegensatz zu anderen Computerspielen prinzipiell unvorhersehbar. Deshalb verlieren die Spiele bei entsprechend ‘guten’ Gegnern auch nach vielen Stunden nicht ihren Reiz. Weniger spielerische als vielmehr technische und organisatorische Kompetenzen sind zur Durchführung einer Netzwerk-Party erforderlich, die von Organisations-Teams (‘Orga-Teams’) mit erheblichen Vorlaufzeiten realisiert werden.
Lifestyle
Seine Leidenschaft kostet den LAN-Szenegänger viel Zeit, Engagement und nicht zuletzt Geld. Dieser umfängliche Ressourcen-Einsatz wird im Vorfeld von LAN-Parties deutlich, wenn die Teilnehmer mit ihrer kompletten PC-Ausrüstung anreisen und gemeinsam ein (bisweilen) gigantisches Netzwerk aufbauen.
Je näher man zum Kern der Szene vordringt, desto mehr wirkt sich das Szeneleben auf andere Lebensbereiche aus. So nimmt etwa die Organisation von LAN-Parties schon Wochen vor dem Termin sehr viel Zeit in Anspruch. Engagierte Clans treffen sich im Vorfeld einer LAN-Party um zu trainieren. Szenisches und außer-szenisches Leben stehen bei manchem Szenegänger im Einklang: Zum einen sind Spiel- und/oder Organisationsgemeinschaften nicht selten in bestehende außer-szenische Sozialzusammenhänge (Freundeskreise, Arbeitskollegen) eingebettet. Zum anderen besteht bei den meisten Spielern ohnehin eine gewisse ‘IT-Affinität’, die sich in entsprechenden Ausbildungen und Berufen niederschlägt.
Symbole
Symbole treten in der LAN-Szene spätestens dann in Erscheinung, wenn es um die Präsentation der Clans geht. Oft bestehen Clan-Logos oder Clan-Homepages aus grafischen Elementen einzelner Spiele. Anhand solcher Symbole werden schnell die vom jeweiligen Clan bevorzugten Spiele bzw. Spiel-Genres deutlich. Auf LAN-Parties präsentieren Clans ihre Logos u. a. auf Bannern oder T-Shirts.
Einzel-Spieler signalisieren durch bestimmte Elemente aus Computerspielen (Figuren, Schriftzüge etc.) ihre – bisweilen auch von der Clan-Kultur abweichenden – Präferenzen. Solche Hinweise werden häufig am PC-Gehäuse, am Monitor oder an anderen gut sichtbaren Stellen platziert. Mittlerweile gibt es auch eigene Wettbewerbe in denen die innovativsten ‘PC-Umbauten’ (‘Case-Modding’) gekürt werden.
Rituale
Es ist üblich, dass Spieler eines Clans auf LAN-Parties zusammensitzen, obwohl dies aus rein technischen Gesichtspunkten nicht erforderlich ist. Clans signalisieren dadurch die Zusammengehörigkeit ihres Teams. Oftmals wird das noch durch symbolische Markierungen – wie z. B. Fahnen oder Banner – verstärkt.
Siegerehrungen signalisieren das Ende eines Events. Sie verdeutlichen abschließend das gemeinsame Erlebnis für die Teilnehmer, indem die besten Spieler und Clans bekannt gegeben werden. Es zeigt sich, wessen Bemühungen im Vorfeld letztendlich am erfolgreichsten waren. Der ideelle Wert des Gewinns ist dabei meist bedeutsamer als der materielle Wert möglicher Sach- oder Geldpreise. Dass die Entscheidungen, wer die besten Spieler oder Clans eines Abends waren, oft unterschiedlich gesehen werden, sei nur am Rande erwähnt. In vielen Fällen liefern Siegerehrungen neue Inhalte für anschließende (zum Teil wochenlange) Diskussionen in Internetforen darüber, wer ‘wirklich’ der ‘Beste’ ist, war oder sein wird.
Events
LAN-Parties (‘LANs’) werden von Clans oder (aus LAN-Spielern bestehenden) Organisationsteams durchgeführt. Szenefremde Party-Veranstalter finden sich in der Regel nicht. Die Teilnehmerzahlen solcher Parties liegen zwischen 30 und 800 Teilnehmern. Groß-Events mit über 1.000 Teilnehmern sind eher die Ausnahme.
Das Eintrittsgeld liegt je nach Aufwand und Größe der Veranstaltung zwischen 10 und 40 Euro. Es dient hauptsächlich der Deckung anfallender Kosten wie Raummiete, Strom, Betreuung der Spieler und Leihgebühren für technische Geräte. Die Teilnahme steht jedem offen, soweit er entsprechend mit Hard- und Software ausgestattet ist und ein Wochenende Zeit mitbringt – die Parties dauern in der Regel bis in den frühen Samstag- oder Sonntagmorgen.
Auf LAN-Parties finden unterschiedliche Spiel-Turniere statt, für die man sich als Einzelspieler oder als Clan anmelden kann. Nach statistischer Auswertung der nach unterschiedlichen Plänen ausgetragenen Spiele werden die Ergebnisse am Ende der Party bekannt gegeben. Die Attraktivität der LAN-Parties ist sicherlich nicht alleine durch deren Wettkampfcharakter erklärbar. Vielmehr sind LAN-Parties auch Geselligkeiten in vielerlei Hinsicht. Insbesondere geht es darum, Spieler – gegen die man bislang ausschließlich im Internet gespielt oder mit denen man in Foren diskutiert hat – persönlich kennen zu lernen. Nicht zuletzt deshalb ist das Rahmenprogramm von großer Bedeutung: Gute Stimmung herrscht nur dort, wo für Abwechslung (z. B. Videoleinwände) und vor allem für Verpflegung (Catering und Pizza-Service) gesorgt ist.
Treffpunkte
Alltägliche, privaträumliche Zusammenkünfte – oftmals unter der Woche – heißen in der Szene ‘Sessions’. Man trifft sich, um gegeneinander zu spielen, voneinander zu lernen, miteinander Strategien zu entwickeln und Spiel-Umgebungen kennen zu lernen. Sessions sollen zudem das ‘Teamplay’ fördern – zumindest, wenn sich ein Clan zusammenfindet.
Mittlerweile fungieren auch Spiele-Plattformen im Internet als Treffpunkte der Szene. Dort können Clan-’Mitgliedern’ ohne großen Koordinationsaufwand ‘trainieren’. Ein hierbei auftauchendes Problem ist das so genannte ‘Cheaten’ (Betrügen) mittels des Einsatzes von Hilfsprogrammen, welche die Fähigkeiten der Spieler verbessern. Um den Einsatz dieser Programme vorzubeugen, betreiben manche Clans eigene ‘Game-Server’, die nur für ausgewählte Personen zugänglich sind.
Medien
Der Computer ist das unmittelbarste und zentralste Medium der Szene. Ohne ihn läuft gar nichts – kein Spiel, keine LAN-Party, kein Anwendungsprogramm, kein Internet, keine Musik und auch keine Filme. Dennoch wird der Computer weniger als Medium denn als unmittelbares, bearbeitbares Werkzeug gesehen.
Das bedeutendste Kommunikationsmedium der Szene ist das Internet. Hier werden Diskurse über szenerelevante Themen geführt und kommunikative Inhalte der Szene transportiert. Mittels der (multi-)medialen Möglichkeiten des Computers werden visuelle und didaktisch anspruchsvolle Plattformen erzeugt, die zum Teil hohe design-ästhetischen Qualitäten aufweisen.
Im Gegensatz zu den meisten anderen Szenen, in denen Printmedien eine große Bedeutung zukommt, werden von LAN-Spielern fast ausschließlich virtuelle Plattformen genutzt – etwa, um auf aktuelle Termine hinzuweisen, um Ereignisse zu diskutieren oder einfach nur, um auf die Aktivitäten des eigenen Clans hinzuweisen. Eines der wichtigsten Szene-Portale ist ‘www.lanparty.de’. Über szenenahe und für Szenegänger relevante Themen berichten auch einige Computerspiel-Magazine (wie z. B. ‘GameStar’ oder ‘PC Action’).