Senzeprofil: Warez
Intro
‘Warez’ bezeichnet im Computerjargon illegal beschaffte und verbreitete Software – eine Raubkopie. Das Wort stammt vom Begriff ‘Software’ ab, wobei das Plural-S im Zuge des ‘Leetspeak’ (Verfremdung der Wörter durch ähnlich aussehende alphanumerische Zeichen und Buchstaben) durch ein ‘z’ ersetzt wurde. Die Aktivitäten der Warez-Szene finden nahezu ausschließlich im Internet statt und bestehen darin, ‘piratisierte’ Software (Filme, Spiele, Programme, digitalisierte Printmedien und Musik) auf unterschiedliche Arten auszutauschen. Dass dieses ‘Tauschen’ illegal ist, hindert die meisten Akteure der Szene nicht daran, ihren Interessen nachzugehen. Mit zunehmender Weiterentwicklung des Internets bei gleichzeitig immer günstiger werdenden ‘Gebrauchskosten’ steigt die Verbreitung von Warez kontinuierlich an.
History
Die Geschichte der deutschen Warez-Szene reicht bis in die 1980er Jahre zurück, als erste Gruppen von ‘Phreakern’ damit begannen, analoge Telefonanschlüsse so zu manipulieren, dass Verbindungskosten weder bei ihnen noch jemand anderem anfielen. Binnen kurzer Zeit organisierten sich diese Gruppen und tauschten untereinander Computerprogramme und -spiele über so genannte ‘Bulletin Board Systeme’ im Internet aus. Bulletin Board Systeme wurden ursprünglich in den späten 1970er Jahren für den ‘Apple II’ entwickelt. Zu dieser Zeit war die Übertragung ausschließlich textbasiert und noch relativ langsam – also für den Austausch von Dateien nicht zu gebrauchen. Erst als sich die zumeist jugendlichen Nutzer dafür interessierten, Programme zu ‘traden’, wurde diese Technologie in der Nutzergemeinschaft dahingehend weiterentwickelt.
Im Verlauf der letzten 30 Jahre erfuhr die Szene einen kontinuierlichen Zuwachs an ‘Mitgliedern’ und differenzierte sich aufgrund der technologischen Entwicklung und den damit einhergehenden Möglichkeiten zur Verbreitung von Software stark aus.
Literatur
Strukturen
Horizontale Ausdifferenzierung innerhalb der Warez-Szene verlaufen entlang unterschiedlicher Interessensschwerpunkte der Szenegänger. Die beiden äußeren Pole markieren die Anbieter (die sich in ‘Release-Gruppen’ organisieren) und die ‘Leecher’ (also denjenigen, die Angebote herunterladen und konsumieren) von Warez.
‘Release-Gruppen’ werden in der Regel von einem so genannten ‘Supplier’ mit Rohmaterial versorgt. ‘Supplier’ sind zumeist Angestellte in Presswerken, Beta-Tester, Insider von Software-Firmen – kurzum alle, die Zugang zu neuen Veröffentlichungen haben. Ohne sie gäbe es keine qualitativ hochwertigen und aktuellen Warez. Der Erfolg einer ‘Release-Gruppe’ steht und fällt in erster Linie mit den Kontakten bzw. Beziehungen des ‘Suppliers’.
Damit das Rohmaterial an den ‘User’ gebracht werden kann, muss eine ‘Release-Gruppe’ verschiedene Kompetenzbereiche abdecken, weswegen sie in der Regel aus mehreren Personen besteht, die das Rohmaterial bearbeiten – z. B. den Kopierschutz entfernen, Download-Teilpakete zusammenstellen usw. Andere sind mit der Gestaltung und Administration der Warez-Seiten betraut. Wiederum andere beschäftigen sich vornehmlich mit der Gestaltung grafischer Elemente – den bereits genannten ‘Intros’ und ‘Cracktros’ – für die einzelnen Releases. In Bezug auf die Gestaltung von ‘Intros’ und ‘Cracktros’ hat sich aber bereits sehr früh eine Subszene – die Demoszene – herauskristallisiert (vgl. dazu den ‘Steckbrief’ in diesem Band).
Vertikale Differenzierungen lassen sich hinsichtlich des Professionalisierungsgrades der einzelnen Akteure treffen. Neben den gegenwärtig prominentesten und professionellsten Release-Gruppen wie ‘Myth’ und ‘Class’, die bereits seit über einem Jahrzehnt bestehen, gibt es noch viele weitere kleine Release-Gruppen wie z. B. ‘Elite’, ‘Paranoid’ und ‘Razor1911′. Es gilt generell die Faustregel: Je früher ein ‘Release’ auftaucht, desto höher ist das Ansehen der Release-Gruppe und ihres ‘Suppliers’ in der Szene. Die ‘Leecher’ drücken ihre Wertschätzung durch Gästebucheinträge und ‘Votes’ für die jeweilige Seite auf Toplisten aus.
Fakten
In Deutschland nutzen gegenwärtig ca. 15 Millionen Personen Online-Tauschbörsen (wie Napster, eMule oder Kazaa). Solche Tauschbörsen sind in der Web-Warez-Szene allerdings als ‘Mainstream-Warez’ verpönt. Aussagen des Bundeskriminalamtes zufolge besteht die eigentliche Web-Warez-Szene aus etwa 300.000 Nutzern, die zum größten Teil unter 30 Jahre alt sind. Es sind fast ausschließlich männliche Personen, die Warez auf privaten Internetseiten anbieten, bzw. Raubkopien von diesen Seiten herunterladen. Die genannten Daten beruhen aber aufgrund der Anonymität der Szenegänger auf (groben) Schätzungen.
Relations
Aufgrund der hohen Anonymität im Internet treffen sich die Aktiven der Szene in nicht-öffentlichen Chat-Räumen oder Foren, um dort auch alltägliche Themen wie Beziehung, Musik oder Politik zu besprechen. Grundsätzlich kann jeder an der Szene partizipieren, der über das entsprechende technische Equipment und Know-how verfügt. Auf Grund der großen Bedeutung von Raubkopien (jeglicher Art) unter Jugendlichen kann davon ausgegangen werden, dass es Warez-Anhänger in fast allen anderen Szenen gibt. Die größte Schnittmenge gibt es mit den LAN-Spielern, die ähnliche Interessen und vor allem ähnliche Kommunikationsformen und -wege teilen.
Fokus
Im Fokus der Warez-Szene steht die ‘kostenlose’ Verbreitung von aktuellen Filmen, Musik, Computerprogrammen und eBooks über das Internet. Die Szene könnte man als digitalisiertes Abbild der ‘realen’ kommerziellen Unterhaltungsindustrie beschreiben, mit dem Unterschied, dass alle ‘Waren’ quasi ‘umsonst’ angeboten werden.
Im Zentrum der Szene stehen die Anbieter von Warez, die sich in ‘Release-Gruppen’ organisieren und auf eigenen Internetportalen ihre Angebote zum Download bereitstellen. Die Betreiber dieser Portale stehen in Bezug auf die Aktualität und Qualität ihrer Angebote in ständiger Konkurrenz zueinander, wobei die Qualität der Angebote bzw. die Leistung der ‘Release-Gruppe’ durch ein Ranking-Verfahren von den Besuchern der Seiten festgelegt wird.
Das Ranking basiert auf dem Prinzip einer Abstimmung, bei dem jeder Besucher einer Warez-Seite dazu aufgefordert wird, nach einem Download für die Seite zu ‘voten’. Die Stimmen werden auf ‘neutralen’ Internetseiten gezählt und in fortlaufend aktualisierten ‘Toplisten’ veröffentlicht – vergleichbar mit Tabellen aus Sport-Ligen weisen diese Listen täglich die beliebtesten bzw. erfolgreichsten Warez-Seiten aus. Die prominenteste Topliste im deutschen Raum ist die seit dem Jahr 1999 bestehende Topliste von ‘Gulli’ (www.gulli.com). ‘Release-Gruppen’ die es bei ‘Gulli’ in die obersten Ränge schaffen, gehören zu den meist frequentiertesten Warez-Seiten-Betreibern in Deutschland.
Einstellung
Die Grundidee von ‘Warez’ ist nichtkommerziell. Die Akteure der Warez-Szene verstehen die Verbreitung von Software-Produkten als ein Privileg der Informationsfreiheit und sprechen sich gegen Patente auf ‘virtuelles’, geistiges Eigentum aus. Auf diese Weise stilisieren sie sich selbst als tapfere Widerstandskämpfer gegen die – ihrer Meinung nach – übermächtige und profitgierige Unterhaltungsindustrie.
Das Angebot der Warez-Szene besteht aus aktuellen Filmen, Computerspielen, Programmen, Zeitschriften und Büchern, welches sich prinzipiell jeder in einer vom Original nicht zu unterscheidenden Qualität kostenlos herunterladen kann. Dass dies grundsätzlich illegal ist, wird dabei in aller Regel außer Acht gelassen. Personen die sich in bzw. an der Szene bereichern wollen, werden in der Regel öffentlich ‘an den Pranger gestellt’ und der Strafverfolgung billigend ausgesetzt.
Lifestyle
Je nachdem wie ausgeprägt das persönliche Engagement und Interesse an der Warez-Szene ist, kann sich die Teilhabe am Szenegeschehen für den Einzelnen zu einem zeit- und kostenintensivem ‘Hobby’ entwickeln. In erster Linie sind es die ‘Release-Gruppen’, die mitunter viele Stunden mit der Aufbereitung und dem Veröffentlichen von Warez beschäftigt sind. Das ‘Releasen’ erfordert hohe medientechnische Kompetenzen (die sich die Szenegänger in der Regel autodidaktisch aneignen) und nicht zuletzt auch eine leistungsstarke technische Ausrüstung. Kosten für Web-Server, von denen aus die Warez verteilt werden, können z. T. durch Banner-Werbung wieder erwirtschaftet werden.
Auf der Seite der ‘User’ verhält es sich ähnlich. Um ein Produkt downloaden zu können, sind Kenntnisse über die Szene erforderlich, die man nicht ohne weiteres erwerben kann. Darüber hinaus verfügen die meisten ‘Leecher’ (Sauger) über verhältnismäßig teure DSL-Verbindungen, die das Empfangen von großen Dateimengen erst ermöglichen.
Das Szeneleben überschneidet sich mit anderen Lebensbereichen wie Schule, Ausbildung oder Sportverein. Die zumeist jugendlichen Warez-Besitzer tauschen die zuvor ‘gesaugten’ Waren bei vielen Gelegenheiten untereinander aus und diskutieren über die ‘besten’ Quellen im Netz.
Symbole
Als typisches Symbol für ihre Szene nennen die Warez-Anhänger das @-Symbol und den Totenschädel. Der Totenschädel symbolisiert das digitale ‘Piratisieren’ der Produkte und ist das für die Warez-Szene augenfälligste Symbol. Darüber hinaus gibt es in der Szene verschiedene Formen von Szene-Kunst, die als ‘Beilage’ den Warez hinzugeführt wird. Darunter fallen zum einen so genannte ‘Nfos’ (Infos). Das sind Textdateien, die nach szenetypischen ästhetischen Merkmalen gestaltet werden. Für den Szenekenner sind die in den Nfos (relativ einfach) illustrierten Zeichenfolgen eindeutige Markierungen, die über Inhalt und Herkunft der ihm vorliegenden Software Aufschluss geben. Vergleichsweise aufwändiger sind dagegen die ‘Cracktros’ gestaltet, die als Intro (eine Art Vorspann) nach dem Ausführen der Software ablaufen. Neben der visuellen Ausgestaltung weisen Cracktros in der Regel auch eine computergenerierte musikalische Untermalung (‘Chiptunes’) auf. Einer der bekanntesten Chiptunes-Künstler ist ‘Maktone’, der aufgrund seiner einzigartigen Kompositionen einen guten Ruf in der Warez-Szene genießt. In der letzten Zeit hat die Veröffentlichung von Cracktros stark nachgelassen. Vielen ‘Release-Gruppen’ ist die Tagesaktualität wichtiger, als ein (zeit-)aufwändiges Cracktro herzustellen. Bei ‘besonderen Gelegenheiten’, wie z. B. die Veröffentlichung des in der Szene lang erwarteten Computerspiels ‘Half Life 2′ oder dem Kinofilm ‘Matrix’ gab und gibt es allerdings immer ein entsprechend gestaltetes Cracktro.
Rituale
Die Akteure einer ‘Release-Gruppe’ arbeiten eng zusammen. Über die Zeit bildet sich dadurch in der Regel ein Vertrauensverhältnis, das spätestens dann auf den Prüfstand kommt, wenn ein Szenegänger ‘busted’ (d. h. von der Polizei aufgespürt und verhaftet) wird. Ähnlich verhält es sich bei den Warez-Seiten-Betreibern, die teilweise schon seit Jahren bestehen, eine feste Fangemeinde haben und eigene Fanartikel wie bedruckte CDs oder T-Shirts verkaufen.
Das ausgeprägte Wir-Gefühl der Warez-Szene wird durch einen Codex geregelt, der besagt, dass niemand einen anderen an die Justiz verrät oder sich gegenüber einem Szenegänger unkollegial verhält. Dementsprechend ‘lebt’ die Szene von der hohen Loyalität und dem Zusammenhalt ihrer Anhänger. Im Hinblick auf das anhaltende Konkurrenzverhältnis der ‘Release-Gruppen’ und Warez-Seiten-Betreibern untereinander, kann man diese Haltung auch als freundschaftliche Rivalität bzw. respektvolle Kollegialität beschreiben. Jedoch gibt es vor allem in letzter Zeit vermehrt Unstimmigkeiten, weil manche Anbieter die Warez anderer Seiten ‘stehlen’ und als ihre eigenen ausgeben. (Technische) Angriffe auf Internetseiten konkurrierender Anbieter bleiben dann nicht aus, um sich für den entstandenen ‘Schaden’ zu rächen.
Events
Angesichts der Tatsache, dass es sich bei der (gewerbsmäßig) unerlaubten Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke um eine Straftat im Sinne des deutschen Urheberrechts handelt, gibt es in der Warez-Szene keine Events in Form von öffentlichen Parties oder Veranstaltungen, wie sie in anderen Szenen typisch sind. Gleichwohl können Hausdurchsuchungen und Razzien bei prominenten Szene-Akteuren als eine Art von Event bezeichnet werden, da es sich dabei um aus dem Szene-Alltag herausgehobene Ereignisse handelt, welche sich innerhalb der Szene zu interaktiven (Diskussions-)Spektakeln entwickeln, die die Existenz der Szene für alle Akteure erfahrbar macht. In Deutschland gab es beispielsweise im Jahr 2004 einen großen Schlag gegen den semikommerziellen Warez-Anbieter ‘Share Reactor’, auf dessen Server in Frankfurt über 300 Gigabyte an Spielen und Filmen sichergestellt wurden. Die Szene reagierte auf diese ‘Events’ mit umfangreichen Diskussionen in einschlägigen Internetforen und Kondolenzbekundungen für die ‘Opfer der Strafverfolgung’.
Durchaus Eventcharakter hat das Warten auf ein neues, langersehntes Release. Diese Releases werden innerhalb der Szene mit Countdown und Previews angekündigt und mit Grafiken und Extrameldungen zelebriert. Den Rekord für die Veröffentlichung eines Films vor dem eigentlichen Erscheinungstermin hält immer noch der Film ‘Matrix – Reloaded’, der bereits 40 Tage vor dem offiziellen amerikanischen Kinostart in englischer Sprache im Netz erhältlich war.
Treffpunkte
Neben den großen ‘Release-Gruppen’, die sich auch privat treffen um ihr weiteres Vorgehen zu beratschlagen oder einfach nur zu feiern, existiert die Szene ausschließlich im Internet. All das, was früher fast ausschließlich in Bulletin Board Systemen ablief, erstreckt sich heutzutage auf die gesamte Bandbreite der Möglichkeiten der Internetnutzung. Man trifft sich in Foren und Chatrooms, hinterlässt Nachrichten auf einschlägigen Websites und Gästebüchern und antwortet auf Einträge anderer User.
Medien
Medien sind in der Warez-Szene allgegenwärtig. Von Printmedien über Musikstücke und Filme bis hin zu Computerprogrammen und Spielen werden alle erdenklichen Formate in digitalisierter Form ‘getradet’ (getauscht). Darüber hinaus findet (nahezu) die gesamte Kommunikation, Organisation und Verbreitung von Warez über das Internet statt. In der Szene einschlägig bekannte virtuelle Orte (Foren, Gästebücher und Chaträume) dienen der Berichterstattung von Neuigkeiten, der Bewertung von ‘guten und schlechten’ Anbietern und zahlreichen weiteren Themen. Szeneeigene Magazine oder Fanzines in gedruckter Form gibt es nicht.
Bundesweite Aufmerksamkeit und massenmediale Berichterstattung erregen in der Regel nur groß angelegte Hausdurchsuchungsaktionen und Schläge gegen die Szene. So berichtete die Tagesschau seinerzeit über die Aktion der Warez-Seite ftpwelt.com, deren Betreiber versuchten, sich durch das Anbieten von Warez persönlich zu bereichern. Die Festnahme der Betreiber wurde innerhalb der Szene in zahlreichen Foren gefeiert.