Szeneprofil:
Twerk
Intro
Der Tanzstil Twerk beeinflusst seit nun über zwanzig Jahren mit zunehmender Tendenz das weltweite Tanzgeschehen. Auswirkungen auf Teilbereiche der Hip-Hop Kultur sind mittlerweile deutlich erkennbar. Charakteristisch für den überwiegend von jungen Frauen praktizierten Tanzstil sind Hüft- und Pobewegungen in hockender Grundposition. Auch akrobatische Elemente zählen inzwischen zum festen Schrittrepertoire. Die Ursprünge des Stils sind innerhalb afrikanischer Kulturen zu verorten.
History
Twerk gilt mittlerweile als ein sich global immer stärker etablierendes Phänomen im kommerziellen Tanzgeschehen westlicher Kulturen. Die relativ neu entstandene Twerkszene lässt eine weltweite, rapide und flächendeckende Ausweitung erkennen. Die Ursprünge von Twerk liegen innerhalb afrikanischer Stammeskulturen. Ähnlichkeiten zwischen Twerk und afrikanischen Tänzen wie beispielsweise Ventilateur (Senegal), Mapouka (Elfenbeinküste) oder Kwassa Kwassa (Zimbabwe), allesamt stark von Gesäß- und Hüftbewegungen geprägt, lassen sich deutlich erkennen.
Ende der 1980er Jahre erschien der Begriff „Twerk“ das erste Mal im Kontext der Bounce-Szene in New Orleans, welche als der Hip-Hop Kultur zugehörig gilt. Im Jahr 1993 wurde von DJ Jubilee „The King of Bounce“ eine Aufnahme mit dem Refrain „twerk baby twerk“ veröffentlicht. So erhielt der Begriff „to twerk“ erstmals Einzug in die Hip-Hop Szene. Bounce-Rapperin „Big Freedia“, auch bekannt als Freddie Ross Junior, bezog Twerkelemente seit Mitte der 1990er Jahre aktiv in Performances ein. Freedia zufolge soll Twerk als “[…] ass-shaking dance from the New Orleans projects” verstanden werden.
Im Jahr 2005 gründeten drei junge Frauen aus Atlanta das „Twerkteam“. Die Gruppe, bestehend aus „MizzTwerksum“, „LadyLuscious“ und „BettyButt“, erlangte durch auf der Plattform YouTube veröffentlichte Twerkvideos innerhalb kürzester Zeit große Aufmerksamkeit.
Erst seit etwa dem Jahr 2000 hielt Twerk dann Einzug in die US-amerikanische Mainstreamkultur. Interpret_innen wie Beyoncé und Justin Timberlake nutzten die Vokabel „Twerk“ erstmals in veröffentlichten Liedern, so die Charthits „Check On It“ aus dem Jahr 2005 und „Sexy Back“ im Jahr 2006. Durch den Einbezug von Twerkelementen während einer Darbietung bei den MTV Music Awards sorgte die Sängerin Miley Cyrus im Jahr 2013 für Furore. Dies förderte gleichermaßen den Fortgang einer Etablierung von Twerk in die (weiße) Mainstreamkultur, führte aber genauso zu Kritik und Diskussionen zum Umgang mit kulturellem Eigentum der Black Community.
Literatur
Campbell, Melissa (2004): ‚Go White Girl! ‘: Hip Hop Booty Dancing and the White Female Body. In: Journal of Media & Cultural Studies. Vol. 18. No 4. S. 497-508.
Evans, Adrienne; Riley, Sarah; Shankar, Avi (2010): Technologies of sexiness: Theorizing women’s engagement in sexualization of culture. Feminism & Psychology, 20, S. 114–131.
Kubitzek, Eva Sara (2018): Forschungsbericht: Stigma und Twerk. Der praktische und psychosoziale Umgang mit gesellschaftlichen Bewertungspraktiken des Tanzstils Twerk in Deutschland. (unveröffentlichtes Manuskript, Ruhr-Universität Bochum).
Kubitzek, Eva Sara (2020): Twerk, Empowerment und Selbstwirksamkeit. Eine qualitative Untersuchung der finnischen Tanzszene. (unveröffentlichte Masterarbeit, Ruhr-Universität Bochum).
Pérez, Elisabeth (2016): The ontology of twerk: from ‚sexy‘ Black movement style to Afro-Diasporic sacred dance. In: African and Black Diaspora: An International Journal. Vol. 9. No. 1. S. 16-31.
Toth, Lucille (2017): Praising Twerk: Why aren’t we all shaking our butt? In: French Cultural Studies, Vol. 28(3). S. 291-301.
Strukturen
Die Ausweitung des Tanzstils Twerk in andere Länder vollzog sich anschließend, je nach Zeit, Ort und Kultur, unterschiedlich. Derzeit wird der Tanztrend Twerk hauptsächlich in Teilen Südamerikas, den USA und Russland praktiziert. Auch in vielen europäischen Ländern ist eine deutliche Etablierung des Stils beobachtbar. In Deutschland ließen sich im Vergleich zu anderen europäischen Ländern lange Zeit nur die Anfänge von Etablierungsprozessen des Tanzsports ausmachen. Inzwischen ist die Verankerung des Stils Twerk hingegen in Kursangeboten diverser Fitnessstudios und Tanzschulen anzutreffen. Insbesondere die Kombination von Twerk und Fitness wird mittlerweile häufig ins Programm von Sportstudios aufgenommen. Der zu Beginn teilweise als fremdartig empfundene Tanztrend Twerk wurde dadurch mehr und mehr als Teil einer alltäglichen Sportpraxis wahrgenommen. Diese Entwicklung lässt Parallelen zum Tanzstil Poledance erkennen.
Für viele findet der Erstkontakt zur Twerkszene über Tanzstudios statt. Eine Teilnahme an beispielsweise wöchentlich stattfindenden Twerkkursen ist jedoch nicht zwangsläufig mit dem Eintritt in das szenische Geschehen gleichzusetzen. Einige Menschen motiviert in erster Linie der sportliche Aspekt oder die regelmäßige, gemeinsame Aktivität mit Freund_innen – das Eintreten in die Twerkszene ist dann an dieser Stelle nicht immer von Interesse. Das Fitness Studio kann aber für Twerkschüler_innen auch als Möglichkeitsraum dienen, um in die Szene einzutauchen. Einige Twerktrainer_innen geben in den von ihnen angeleiteten Kursen z.B. Hinweise auf weitere Treffpunkte, wo Twerktraining stattfindet, oder berichten von anstehenden Events. Die Teilnahme ist dabei jederzeit freiwillig und so ist es jeder und jedem überlassen, inwieweit sie oder er sich aus dem Tanzschul- in den Szenekontext bewegen mag. Dabei gibt es keine klaren Trennlinien und die Übergänge von Tanzstudios, in denen Twerk als Kursformat angeboten wird, und die der Twerkszene, sind gewissermaßen fließend.
Fakten
Der Tanztrend Twerk wird in Argentinien, Chile, Kolumbien und Mexiko sowie in den USA und Russland praktiziert. Bekannte Tänzerinnen der dort ansässigen Szenen sind zum Beispiel „Lexy Panterra“ (USA), „Geri Hoops“ (Chile) oder „Fraules“ (Russland). Auch in vielen europäischen Ländern, wie etwa in Spanien, Italien und in der Ukraine, ist die Etablierung einer Szene beobachtbar. Je nach soziohistorischem und gesellschaftlichem Kontext des entsprechenden Landes kann sich die Ausgestaltung der jeweiligen Twerkszene sehr unterschiedlich gestalten. Sowohl Prozesse von Empowerment und Stigmatisierung im Zusammenhang mit Twerk als auch der Tanzstil selbst gestalten sich länderspezifisch unterschiedlich: Substile im Twerk tragen dann Namen wie „Twerkfusion“, auch „Twerkfuzzion“ (eine Kombination aus Twerk und anderen urbanen Tanzstilen, begrifflich erstmals von der spanischen Twerktänzerin und Künstlerin Sandra Kroes verwendet), „Twerk in Heels“ (hier wird in High-Heels getanzt, was den Schwierigkeitsgrad erhöht), „Sensual Twerk“ (eine langsamere, sinnlichere Variante im Twerktanz, wird beispielsweise von der finnischen Tänzerin Anniina Raittinen unterrichtet) oder „Twerk Beastmode“ (hier liegt ein besonderer Fokus auf akrobatischen Tricks und wurde ursprünglich durch die tschechische Twerktänzerin Anet Antosova ins Szenevokabular eingeführt) und „Afrotwerk“ (eine Mischung verschiedener Elemente von Tänzen aus afrikanischen Kulturen mit Twerk, wird ausschließlich von Personen mit entsprechendem kulturellen Hintergrund, also von Black and People of Color (BPoC), unterrichtet). Da sich die Twerkszene in stetiger Bewegung befindet, entstehen immer neue Subkategorien, die dann teilweise mit bestimmten Twerktänzer_innen assoziiert werden.
Zudem lassen sich regional unterschiedliche Ausformungen der jeweiligen Twerkszenen feststellen. Missverständnisse und die Stigmatisierung des Tanzstils Twerk sind beispielsweise in Deutschland stärker ausgeprägt als in anderen europäischen Ländern (wie Tschechien, der Ukraine, den Niederlanden, Spanien und Finnland). Damit geht einher, dass die Twerktänzer_innen teils spezifische Umgangsstrategien entwickeln, um einer vorschnellen (Vor-)Urteilsbildung durch andere vorzubeugen. Praktisch kann das bedeuten, dass selbst mit antizipierten Stigmatisierungsprozessen ein Umgang gefunden wird: Twerkvideos in sozialen Medien werden nur einer ausgewählten Anzahl an Personen zugänglich gemacht. Es wird in Alltagsgesprächen nicht direkt freimütig über das Hobby Twerk berichtet und manchmal kommt es gar zur Geheimhaltung gegenüber der Oma, den Eltern oder Kolleg_innen. Eine potenzielle Stigmatisierung durch das „Außen“ der Szene will abgewendet werden, mitunter, um die diversen empowernden Prozesse innerhalb der Szene nicht zu gefährden. Wie kann Twerk denn mit Empowerment in Verbindung gebracht werden? Beim Twerken geht es, laut vieler Twerktänzer_innen, darum sich mit sich selbst wohlzufühlen. Es wird teils viel Haut gezeigt, die Tanzbekleidung soll das Gesäß betonen. An dieser Stelle wird sich nicht dem klassischen Schönheitsideal unterworfen, welches als „Bedingung“ dafür gelten könnte, den eigenen Körper überhaupt so zu inszenieren. Umdeutungsprozesse gesellschaftlicher Ideale, wie das der Tänzerin, wirken dann insofern ermächtigend, als dass im Kontext des Twerkunterrichts und der -szene die Vielfältigkeit körperlicher Erscheinungsbilder konsensuell zur Normalität erklärt wird. Von Praktiken der Restriktion und Sanktion aufgrund einer jeweiligen Statur wird sich deutlich abgegrenzt. Jede und jeder darf und kann twerken sowie den eigenen Körper und den eigenen Po nach Belieben inszenieren und zelebrieren.
Umdeutungs- und Resignifizierungsprozesse in Bezug auf die Stilrichtung Twerk, deren Elemente ehemals hauptsächlich im Setting von Nachtlokalen und Stripclubs praktiziert und dort vordergründig für den männlichen Blick präsentiert wurden, besitzen in der Szene einen immensen Stellenwert. Dabei wird sich klar vom Nachtclubsetting abgegrenzt, jedoch keinesfalls mit der Konnotation eines verurteilenden Gestus gegenüber Striptänzer_innen und Sexarbeiter_innen – schließlich beinhaltet das Konzept des Empowerment im Twerk die Befürwortung von Entscheidungsfreiheit und Solidarität. Twerk wird weder in Tanzstudios noch innerhalb der Szene für den männlichen Blick praktiziert. Zu den hochgehaltenen Werten zählen stattdessen die Twerkgemeinschaft (von Szenegänger_innen auch als „Community“ bezeichnet), den je individuellen Erwerb und die Verbesserung künstlerisch-tänzerischer Fertigkeiten und die Leidenschaft für den Tanzstil Twerk selbst.
Ein Epizentrum ist innerhalb der weltweiten Twerkszene nicht auszumachen. Es lässt sich jedoch vonseiten der Akteur_innen vieler Länder ein starkes Engagement für die Ausweitung des Stils und auch für die Vernetzung der Szene erkennen. Soziale Medien, wie die Plattformen Facebook, Instagram und TikTok, vereinfachen den regen internationalen Austausch von Szenegänger_innen der unterschiedlichen Länder. Dieser findet in vielfältiger Weise statt, so etwa in Form des Teilens, Likens und Repostens von Fotos und Videos (Instagram) oder der Organisation gemeinsamer internationaler (Tanz-)Veranstaltungen.
Ein im Jahr 2017 in Hannover durch die Tänzerinnen Rimma Banina und Kristina Lipchev entwickeltes Twerk- und Fitnessformat erlangte sowohl innerhalb als auch außerhalb Deutschlands immer größere Bekanntheit und begünstigte dadurch die Verankerung des Stils Twerk in Kursangeboten diverser Fitnessstudios und Tanzschulen. Wie bereits erwähnt, sind der sportlich-tänzerische Bereich und die Twerkszene stark miteinander verflochten. Eine Teilnahme am Twerk Kursangebot eines Tanzstudios ist nicht mit dem Eintritt in die Twerkszene gleichzusetzen, kann jedoch oftmals als eine Art „Eintrittsmöglichkeit“ von Interessierten genutzt werden. In Deutschland sind vor allem Tänzer_innen rund um Rimma Banina, die sowohl der deutschen Fitness- als auch der Twerkszenen-Elite angehört, deutlich an der Szenegestaltung beteiligt.
Twerk wird – insbesondere in den populären Medien – oft als Frauentanz dargestellt. Es zeigt sich jedoch an vielen Stellen, dass Twerk, zumindest theoretisch, ein Tanz für alle Geschlechter ist. Praktisch kann sich dies länderspezifisch sehr unterschiedlich gestalten. So wird Twerk zwar derzeit noch überwiegend von Frauen praktiziert, aber beispielsweise die Choreografen Yanis Marshall, Brian Esperon (USA), Jack Gomez (Spanien) oder Sebastian Visa (Finnland) zählen zur internationalen Szeneelite und beziehen die Elemente von Twerk in ihre Arbeit mit ein. Männer beteiligen sich außerdem mit zunehmender Tendenz an diversen Kursformaten, die eng mit szenischen Aktivitäten verwoben sind. In Spanien, vor allem im Raum Madrid, sind in einigen Twerk Tanzgruppen (sogenannten „Crews“) männliche Tänzer dauerhaft aktiv und präsentieren ihre Choreografien und Freestyles („improvisiertes Tanzen“) im Rahmen von Twerkevents.
Statistische Angaben zur demografischen Zusammensetzung der Szene zu machen, ist schwierig. Da Twerk noch immer ein relativ neuer Tanzstil ist und sich auch die Twerkszenen verschiedener Länder in stetigen Etablierungsprozessen befinden, liegen keine ausreichenden Daten dazu vor. Es lässt sich aber beobachten, dass in westlichen Kulturen vor allem junge Frauen, vielfach mit tänzerischer Vorerfahrung in anderen Tanzstilen, der Twerkszene beiwohnen. Bei der voranschreitenden Ausweitung a) des Stils und b) der globalen Twerkszene spielen Social Media-Formate eine entscheidende Rolle.
Relations
Die Stilrichtung Twerk hat verschiedene Ursprünge. So lassen sich beispielsweise Verbindungen zu afrikanischen Stammestänzen, der jamaikanischen Dancehall-Kultur (vor allem „Dancehall Queenstyle“) oder der Bounce-Szene in New Orleans (Louisiana, USA) herstellen. Es sind darüber hinaus Ähnlichkeiten zwischen brasilianischen und kubanischen Tänzen sowie karibischen und lateinamerikanischen Performancetraditionen und Twerk deutlich erkennbar. Insbesondere die große Vielfalt an Gesäß- und Hüftbewegungen ist bei den aufgeführten Tanzstilen vergleichbar mit dem Schrittrepertoire im Twerk.
Klare Trennlinien zwischen Szenen zu ziehen, erweist sich häufig als schwierig. Oftmals sind bei genauerer Betrachtung Überschneidungen zu anderen Szenen erkennbar: Twerk lässt sich so am ehesten im Bereich urbaner Tanzstile verorten. Auch die Nähe zur Hip-Hop und Rapszene ist klar erkennbar. Rapper_innen beziehen das Element Twerk schon seit Jahrzehnten in Videos und Shows ein. Die Inszenierung der Twerktänzer_innen in Rap- und Hip-Hop Videos ändert sich hingegen seit einigen Jahren. Die Tänzerinnen fungieren nicht mehr ausschließlich als das klassische „Video Vixen“, sondern werden vermehrt als eigenständige Akteur_innen skizziert. Sogenannte Video Vixen, auch Video Girls, sind seit jeher fester Bestandteil der Hip-Hop und Rapkultur. Der Begriff beschreibt dabei Tänzerinnen (meist BPoc – Black and People of Color), die aus einer bestimmten männlichen Perspektive als attraktiv und sexuell aufreizend gelesen, und demgemäß in Musikvideos porträtiert werden. Die vielfach damit einhergehende Objektivierung und Stereotypisierung der Tänzerinnen und ihre Darstellung beispielsweise als Statussymbole wird seit einigen Jahren kritisiert; aus feministischer Perspektive insbesondere die Darstellung von weiblicher Unterwürfigkeit. Eine Resignifizierung, also Umdeutung, kann nun auch hier in Teilen ausgemacht werden. Twerktänzerinnen und auch Rapperinnen wie „Nicki Minaj“, „Trina“ oder „Doja Cat“, inszenieren sich selbst als begehrenswerte Subjekte, die Respekt und die Anerkennung ihres Subjektstatus einfordern.
Im Kontext globaler Hip-Hop Kultur scheint der auf Weiblichkeit und selbstbewusst zelebriertem Sexappeal fokussierte Tanzstil Twerk zunächst einmal der Gegensatz zum überwiegenden Anteil männlicher Praktiken innerhalb der Hip-Hop und Rapszene zu sein. Ohne Anpassungsleistung an die hauptsächlich männlich kodierten „Skills“ (tänzerische Fertigkeiten), und zwar auch von Frauen, ist in der Vergangenheit häufig keine Partizipation an oder Anerkennung in der Hip-Hop Szene möglich gewesen. Die seit jeher starke Unterrepräsentanz von Frauen innerhalb aller vier Sphären des Hip-Hop (MCing, DJing, Graffiti und Breaking) gilt als charakteristisch (siehe Szeneprofil Hip-Hop). Twerk ergänzt in vielen europäischen Ländern aber nun mehr und mehr die Kurspläne urban ausgerichteter Tanzstudios. Bei Events der Twerkszene wirken aktive Szenegänger_innen der Hip-Hop Szene oftmals mit – etwa als DJ oder Host. Getwerkt wird überwiegend zu Liedern aus dem US-amerikanischen Raum. Das musikalische Genre variiert dabei von Rap, Hip-Hop und R&B zu Pop, Latin-Pop und EDM.
Fokus
Twerktänzer_innen beschreiben Twerk als ästhetischen Tanzstil, der schön anzusehen ist – an sich selbst oder beim Betrachten anderer Tänzer_innen. Viele Twerktänzer_innen betonen zudem die Wichtigkeit der (Frauen-)Community. Gegenseitige Unterstützung und das Schließen neuer Freundschaften sind während gemeinsamer Aktivitäten, wie etwa das regelmäßig stattfindende Twerktraining und informell organisierte Trainingseinheiten, von zentraler Bedeutung. Es werden zusätzlich die Motive genannt, das tänzerische Geschick verbessern zu wollen sowie der Wunsch sportlicher und gelenkiger zu werden. Dazu zählt auch, den eigenen Stil zu finden. Dieser setzt sich aus tänzerischen und auch aus Komponenten des äußeren Erscheinungsbildes zusammen. Zu den für Twerk typischen Outfitelementen zählen, um nur einige zu nennen, Netzstrumpfhosen, kurze Shorts, Overknee Strümpfe und auch spezifische Frisuren, wie eingeflochtenes, teils bunt gefärbtes, langes Haar. Für den akrobatischen Teil von Tänzen werden zudem oft Knieschoner getragen. Wie sich Tänzer_innen letztlich präsentieren variiert dennoch stark: Auf der Entwicklung eines individuellen Tanz- und auch Kleidungsstils liegt in der Twerkszene ein besonderer Fokus. Die Tanzbekleidung ist mitunter so speziell, dass von szeneinternen Tänzer_innen eigene Kleidungsstücke entworfen und zum Verkauf angeboten werden.
Einstellung
Durch Akteurinnen der Szene wird vor allem die besondere Verbindung von Frauenpower und erotischen Tanzbewegungen herausgestellt. Tänzer_innen beschreiben einen neuen und selbstbewussteren Umgang mit ihren Körpern. Twerk wird zudem als Tanzstil „für alle“ angepriesen und schreibt sich die Befürwortung von Heterogenität auf die Fahne. Es wird betont, dass sich der Tanzstil Twerk für Männer* und Frauen* jeden Alters eigne, unabhängig von Statur und körperlicher Konstitution. Dem traditionellen Schönheitsideal der westlichen, jugendlichen, dünnen und heterosexuellen Tänzerin wird die Selbstbestimmung über den eigenen Körper entgegengesetzt. Einige Befürworter_innen interpretieren Twerk als politische Form des Widerstands: So auch der US-amerikanische Künstler Niv Acosta, der bereits im Sommer 2016 im Rahmen des internationalen Tanzfestivals Tanz im August in Berlin Twerkelemente in die präsentierten Choreografien einbaute.
Das Training im Twerk, welches einen großen Bestandteil der Twerkszene ausmacht, fokussiert auf verschiedene Bewegungstechniken, Musikalität und akrobatische Elemente (hier insbesondere auch die Gelenkigkeit) der Praktizierenden. Zur Arbeit als Tänzer_in in der Twerktanzszene zählt auch, sich mit Vorurteilen und Missverständnissen um den Stil auseinanderzusetzen. Ein weiterer wichtiger Bestandteil ist zudem, dass sich (vor allem) Frauen innerhalb der Szene gegenseitig unterstützen: Selbstbewusstsein und Körperwahrnehmung der Frauen sollen positiv beeinflusst werden.
Hier ist erneut die Ähnlichkeit zur Mentalität im Poledance erkennbar. Persönliches Empowerment der Tänzer_innen wird auch im Poledance weithin als positiver Effekt hervorgehoben. Sich sexy zu fühlen wird im Twerk gleichgesetzt mit sich selbstbewusst zu fühlen und auch damit, sich in der „eigenen Haut wohlzufühlen“. Die Vorstellung, dass Twerktänzer_innen lediglich Aufmerksamkeit (von Männern) erregen wollten, lässt sich hingegen nicht bestätigen.
Der Umgang mit „Sexappeal“ soll stattdessen in Richtung einer wertschätzenden Haltung gegenüber sich selbst weisen. Sich sexy zu fühlen oder selbstbewusst und selbstbestimmt den eigenen Körper zu präsentieren ist dabei, zumindest theoretisch, nicht an bestimmte Bedingungen (wie gesellschaftlich normierte Schönheitsideale) geknüpft. Twerktänzer_innen aus Deutschland und der Schweiz, wie beispielsweise die in der weltweiten Twerkszene bekannte Schweizerin Yanil Altagracia, unterstützen so etwa das Projekt „X-Women Academy“. Dort wird sich unter dem Hashtag #femaleempowerment für einen feministischen Umgang mit Körperbildern eingesetzt. Die niederländische Twerktänzerin Nicole Cole arbeitete gemeinsam mit Tanzschülerinnen an dem Projekt „MY BODY. MY RULES“. Das Video dazu, welches die Wichtigkeit gegenseitigen Empowerments von Frauen aufgreift, ist auf dem YouTube Kanal der Tänzerin öffentlich einsehbar.
Lifestyle
Das äußere Erscheinungsbild nimmt auch im Alltag der Twerktänzer_innen einen besonderen Stellenwert ein. Oftmals werden, insofern dies die jeweilige Berufstätigkeit zulässt, sportliche Elemente mit Alltagskleidung kombiniert. Da dies zwar eine Besonderheit, aber keinen szenetypischen Einzelfall darstellt (siehe Szeneprofil Hip-Hop), dürfte allein daran aber nicht die spezifische Zugehörigkeit zur Twerkszene erkennbar sein.
Twerktänzer_innen drehen häufig Videos von sich beim Tanzen, welche auf den persönlichen Profilen verschiedener sozialer Medienformate veröffentlicht werden. Vielfach wird dabei auf professionelle Videografie zurückgegriffen. Die Twerkchoreografien und -freestyles können dabei ganz unterschiedlich inszeniert werden: Etwa durch eine „Aneignung“ von öffentlichen Plätzen im städtischen Raum, während des Twerkunterrichts oder im eigenen Wohnzimmer.
Symbole
Tänzer_innen tragen während des Twerktrainings meist sehr kurze Tanzbekleidung, einige bedecken den Körper stärker mit längeren Hosen oder Shirts. Ob die Wahl der Tanzbekleidung nun figurbetont oder lässig ausfällt, wichtig ist, dass das Gesäß betont wird. Üblicherweise wird bei Shorts und Hotpants daher ein Stoff gewählt, der flexibel und dehnbar ist. Dies unterstreicht den Effekt der Pobewegungen – um die es ja hier hauptsächlich geht. Viele sehen im Twerk eine Gegenkultur zum derzeit postulierten Schönheitsideal von Tänzerinnen/ Frauen. Unabhängig von der Statur (und ob diese nun der gesellschaftlichen Heteronormativität und dem Male Gaze entspricht) wird die Inszenierung des Körpers und des Pos zelebriert, oftmals mit wenig und kurzer Bekleidung. Es wird sich somit aktiv gegen ein „nicht schön, dünn, muskulös, talentiert genug“ und stattdessen für eine Kultur von Empowerment – auch und vor allem in Bezug auf den Umgang mit Körperbildern – ausgesprochen.
Soweit sich in szenischen Kontexten bewegt wird, im Training, bei Events oder auf Bild- und Videomaterial in den sozialen Medien, ist die Szenezugehörigkeit gut erkennbar. Die Szenegänger_innen üben meist noch eine Berufstätigkeit neben dem Hobby und der Leidenschaft des Twerktanzens aus. Einige haben ihren Fokus hauptberuflich auf die Arbeit als Trainer_in, Choreograf_in und Tänzer_in in der Twerkszene und im Kontext sportlicher Einrichtungen gelegt.
Ähnlich wie in der Rap- und Hip-Hop Szene, die ja ursprünglich aus dem US-amerikanischen Raum stammt, zeichnet sich das Vokabular im Twerk durch die Verwendung von Anglizismen aus. So werden Begriffe wie „Skills“ (tänzerische Fertigkeiten), „Battle“ (Tanzwettkampf) oder „Community“ (Gemeinschaft) in der Twerkszene häufig genutzt. Aktive Szenegänger_innen nutzen in vielen Fällen einen Alias, unter welchem sie in der Szene dann bekannt sind.
Rituale
Typisch für die Rituale in der Twerkszene sind regelmäßig stattfindende Tanzwettkämpfe, sogenannte „Battles“, während derer die „Queen of Twerk“ gewählt wird. Das ist der höchste Titel, den ein_e Tänzer_in in der Szene erlangen kann. Das Wettkampfgeschehen ist dabei gestaffelt, was bedeutet, die Teilnehmer_innen werden zunächst in den jeweiligen Städten während der Wettkämpfe zum Vorentscheid von einer Jury ausgewählt. Letztere ist zusammengesetzt aus professionellen Twerktänzer_innen, die oftmals der Szeneelite angehören. Auch Bewerbungen über Twerk Tanzvideos, in welchen eine selbst erstellte Choreografie und akrobatische Tricks von den Wettstreiter_innen präsentiert werden, werden manchmal als Grundlage für einen Vorentscheid genutzt. Die Staffelung der Battle Kultur beginnt also bei regionalen Wettkämpfen, gefolgt von nationalen Wettkämpfen. Oftmals werden diese in der Hauptstadt des jeweiligen Landes abgehalten, hier wird dann z.B. die Queen of Twerk Germany in Berlin oder die Queen of Twerk Finland in Helsinki gekürt. Von nationalen Wettkämpfen geht es bis zum wichtigsten Battle, dem großen Finale (meist in Madrid veranstaltet), wo auch internationale Tänzer_innen anwesend sind und gemeinsam den Titel der internationalen „Queen of Twerk“ für das jeweilige Jahr vergeben.
Weitere Rituale bestehen im gemeinsamen Dreh von Tanzvideos, die dann über die persönlichen Kanäle sozialer Medien veröffentlicht und von Szeneangehörigen kommentiert und bewertet werden können. Ein großer Teil der regelmäßigen Interaktionen wird somit in den digitalen Bereich verlagert, der einen vergleichbar hohen Stellenwert besitzt, wie das Zusammentreffen auf der Trainingsfläche und sonstige Kontexte von vis-à-vis Begegnungen.
Events
Zu klassischen Events in der Twerkszene zählen vor allem Battles, welche in regelmäßigen Abständen in Clubs oder kulturellen Veranstaltungsorten stattfinden. Tänzer_innen präsentieren ihre „Skills“, also tänzerischen Fertigkeiten, und treten tänzerisch gegeneinander an. Durch eine Jury und gelegentlich durch das Publikum wird entschieden, wer als Gewinner_in aus dem Wettkampf hervorgeht und den Titel „Queen of Twerk“ erhält (siehe „Rituale“). Die im europäischen Raum größte Veranstaltung dieser Art ist derzeit die „International Twerk Champions“ (ITC) in Madrid. Die Twerktänzerin Sandra Kroes (Spanien) rief diese Veranstaltungsreihe vor einigen Jahren ins Leben. Während der mehrtägigen Veranstaltung treffen Twerktänzer_innen aus inzwischen über 20 Ländern zusammen und trainieren gemeinsam. Hochkarätige Tänzer_innen aus verschiedenen Ländern sind vor Ort anwesend, um diverse Unterrichtsformate anzubieten, „Lectures“ zu halten (Vorträge und Diskussionsrunden, z.B. zu kulturellen Hintergründen des Stils Twerk oder zu szeneaktuellen Themen) und mitunter als Teil der Jury zu fungieren. Der Schlussakt und Höhepunkt der Convention besteht im finalen Twerkbattle, in welchem die vorab in verschiedenen Ländern nominierten Teilnehmer_innen gegeneinander antreten und letzten Endes der/die „Queen of Twerk“ gekürt wird. Auch wenn der/die Beste ein (cis) Mann ist, erhält dieser den Titel „Queen of Twerk“.
Treffpunkte
Typische Treffpunkte der Twerkszene sind zum Beispiel die regelmäßig angebotenen Twerk Tanzkurse in sportlichen Einrichtungen. Diese stellen meist auch den ersten Anlaufpunkt für Interessierte dar. Dennoch sind in regulären Unterrichtseinheiten keinesfalls nur Szenegänger_innen anzutreffen; vielmehr eine bunte Mischung aus sportlich Ambitionierten, Neugierigen und/ oder Angehörigen der Szene. Weitere, eher informelle Treffpunkte sind sogenannte „Spots“, also Orte, an denen sich Twerktänzer_innen zum freien Training treffen können. Twerkcrews organisieren ihre Trainingszeiten selbstständig und mieten dafür mitunter auch Räumlichkeiten an. Manchmal werden auch die Trainingsflächen der Tanzstudios, in denen Crewmitglieder häufig als Choreograf_innen und Trainer_innen arbeiten, genutzt.
Twerk-Workshops sind eine besondere Form des Twerkunterrichts. Charakteristisch für Twerk-Workshops ist vor allem das Ausmaß der Unterrichtseinheiten. Diese spezielle Form des Tanzunterrichtes nimmt entweder mehrere Stunden oder Tage in Anspruch. Twerktrainer_innen leiten die Kurse mit verschiedensten thematischen Schwerpunkten an (siehe „Fakten“ zu diversen Substilen) – Choreografien und Schritte werden dann einstudiert, präsentiert und gefilmt.
Medien
Elemente von Twerk sind häufig in Musikvideos von Sänger_innen und Rapper_innen zu beobachten. Die von Tänzer_innen präsentierten Skills sind aber meist als Handlung im Hintergrund inszeniert, Twerk steht also nicht im Mittelpunkt des Interesses. Der mediale Austausch innerhalb der Twerkszene geschieht primär über die Social Media Plattformen Facebook und Instagram. Zuletzt ist die Anwendung TikTok hinzugekommen. Der Nachrichtendienst WhatsApp ist für das Versenden von Tanzvideos, etwa nach dem gemeinsamen Twerkunterricht, sehr beliebt. In Gruppenchats werden außerdem Absprachen bezüglich Events und Treffpunkten getroffen. Das Format YouTube wird weniger für den Austausch untereinander, wohl aber für die Bereitstellung videografischen Materials genutzt. Dazu zählen zum einen Twerkvideos, in welchen eine oder mehrere Personen ihre tänzerischen Fertigkeiten präsentieren, und zum anderen sogenannte „Twerk Tutorials“. Dies sind Lehrvideos zu verschiedenen Twerktechniken und -choreografien, welche von Tänzer_innen auf deren personalisierten Kanälen hochgeladen werden. Neben vielen anderen veröffentlichen so etwa die spanische Tänzerin Yohanna Almagro, häufig in Zusammenarbeit mit dem Twerktänzer Jack Gomez, und auch die in Berlin ansässige Twerktänzerin „Gabrielichka“ regelmäßig Übungsvideos zu verschiedensten Twerktechniken. Interessierte können so per Videoanleitung Twerk trainieren. Twerk in Form von Onlineunterricht zu praktizieren, gewann pandemiebedingt insbesondere in den Jahren 2020/21 stark an Beliebtheit.